Katzenmond
Kiefer wie ein Wolf besaß. Ich bezweifle, dass es einer der Unsrigen geschafft hätte, es mir einfach abzubeißen. Es einzureißen, ja, eine Ecke, meinetwegen, aber nicht das ganze Ohr. Wir reden doch von einem kompletten Ohr.«
Cäsar leckte sich nachdenklich die Reißzähne. »Was willst du damit andeuten? Dass es ein Hund ist, der hier des Nachts über unsereins herfällt?«
»Ein Hund oder ein Kater, der mächtiger, brutaler und heimtückischer ist als alle anderen.«
Cäsar schwieg.
»Was war mit dem Halbjährigen, der vor zwei Wochen angegriffen wurde«, fragte Serrano. »Hat es ihn auch hier erwischt?«
»Nicht direkt«, sagte Cäsar. »Das war dort drüben im Sandkasten.«
Serrano sah über die Straße. Etwa zwanzig Sprünge vom Müllkorb, dem letzten Überfallort, entfernt lag ein recht großer, um diese Zeit leerer Spielplatz. Und er sah noch etwas: Sowohl dort als auch neben dem Müllkorb standen Kastanien. Allerdings fanden sich die Bäume fast überall. Sie säumten die Straße, leiteten zum Park über, wo sie sich in einer gestutzten Allee fortsetzten, außerdem wuchsen sie in den meisten Höfen des Reviers.
»Ich werde den Hund im Auge behalten«, sagte Cäsar.
Serrano erwachte aus seinen Baumbetrachtungen. »Welchen Hund?«
»Das riesige Vieh, das die Leute aus dem Katzenhaus bewacht. Er ist nicht zu sehen, aber der Knöterich meint, sie haben einen, den sie nachts in den Garten lassen. Zwar haben die Überfälle außerhalb des Grundstücks stattgefunden, aber wer weiß, für einen bis aufs Blut gereizten Riesen sollte ein Zaun kein Problem darstellen.«
Die Kunde von einem Wachhund war Serrano neu. Er dachte an das verlorene Ohr. »Wenn es stimmt, was du sagst, warum suchst du dann überhaupt nach einem Kater?«
Cäsar grinste schwach. »Weil ich noch nie von einem Hund gehört habe, der aus dem Hinterhalt angreift. Und weil Hunde nicht planvoll vorgehen wie der Schatten. Andererseits, keine Regel ohne Ausnahme, wie man allein daran sieht, dass wir beide hier einträchtig durch die Gegend streifen. An deinem Argument mit dem Ohr ist was dran.«
Serrano musste zugeben, dass die Überlegungen seines Sohnes schlüssig waren. Sie ließen sich sogar weiterführen. Vom Katzenhaus über die Straße, in den Park und zu einem stinkenden Kompost, wo sie in eine Frage mündeten: War es möglich, dass auch Krümels Tod eine der von Cäsar erwähnten Ausnahmen darstellte?
Auf dem Rückweg kamen sie überein, die Katerschaft des Viertels in nächtliche Wachtrupps einzuteilen, wenn möglich, in friedlicher Kooperation mit denen aus dem Blockviertel. Cäsar sollte dafür sorgen, dass die anderen die Gegend in den gefährlichen Stunden weiträumig mieden.
»Wird nicht einfach«, sagte er. »Die haben wirklich einige süße Miezen da drinnen.«
»Im Viertel gibt es auch süße Miezen.«
»Aber nicht so neue.«
»Was soll an neuen besser sein?«
»Das Neue.«
Sie ließen das Thema fallen.
»Auf jeden Fall hat Krümel nichts damit zu tun«, knüpfte Cäsar wieder an.
Serrano zögerte. »So scheint es.«
»Ein Giftunfall also, so was kommt immer wieder mal vor. Erinnert uns daran, nicht alles ins Maul zu nehmen, was fressbar aussieht.«
»Das würde ich nicht sagen.«
»Was?«, fragte Cäsar verdutzt.
»Dass es ein Unfall war.«
»Meinst du, dass Krümel das Zeug mit Absicht in den Rachen geschoben worden ist? Das ist absurd!«
»Nicht absurder«, sagte Serrano bedächtig, »als anzunehmen, dass sie es aus Versehen gefressen hätte. Sie war die Furcht in Person. Maja schwört, dass sie nie etwas Unbekanntes angerührt hätte. Was die Nahrung betraf, hielt Krümel sich stur an das Zeug, das ihr von der Ladenfrau in den Napf geschüttet wurde, sogar noch nach ihrer Niederkunft. Man könnte sich fragen, was passiert wäre, hätte jemand den Napf weggenommen und durch Mäuse ersetzt. Wahrscheinlich wäre sie verhungert.«
Cäsar blieb plötzlich stehen. »Soll das heißen, dass das Gift in einem Napf gewesen ist?«
Serrano öffnete das Maul und kostete von der Luft, die sich während der letzten Minuten verändert hatte. Sie war schwerer geworden, es würde Regen geben.
»Das wäre ein logischer Schluss. Und er würde sogar noch weiterführen: Sie hat den Menschen, der ihn gefüllt hat, gekannt.«
Was das betraf, fiel ihm nur einer ein.
Franziska Genrich hatte sich gerade eine Zigarette angezündet, als die Besucher des Blauen eintrafen. Sie sah sie durch die Glastürdes Instituts: zuerst
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