Katzenmond
stand in der Zeitung nicht, dass es sich um einen Puff handelt.«
»Was sollte es denn Ihrer Meinung nach sonst sein?«
Während Liebermann über eine Antwort nachdachte, wanderte sein Blick die Naht auf dem bleichen Körper hinauf, über die Verzweigung am Ende, bis in das stille Gesicht des Internisten. Es schien ihm, als höre Kaiser gespannt zu. »Vielleicht ein gehobenes Mädchenpensionat. Mit besonderer Prägung.«
»Auch gut«, entgegnete die Medizinerin gelassen. »Aber falls diese Prägung sich nicht zufälligerweise in Lektionen für magische Liebespraktiken niederschlägt, verstehe ich den Zusammenhang mit dem Mittelalter nicht.« Sie sah zur Uhr.
Liebermann nahm eines der Instrumente ins Visier, die seitlich von ihm auf einem niedrigen Tischchen lagen. Eine Art Brötchenzange. »Es geht das Gerücht, dass die Mädchen der Aphrodite sich mit Wölfen paaren.«
»Unsinn!«
»Der Umsatz von Sellerie hat sich nachweislich vervielfacht.«
»Ein klassisches Aphrodisiakum«, gab Dr. Genrich zu. »Aber die Wirkung ist zu vernachlässigen. Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?«
»Auf das Mittelalter«, sagte Liebermann. »Und auf einen Barmann, der steif und fest überzeugt ist, in der Nacht vom Mittwoch auf Donnerstag das Heulen eines Wolfs gehört zu haben. Und jetzt raten Sie mal, wo!«
»Ich denke nicht dran. Entweder Sie sagen es mir, oder Sie lassen es bleiben, es ist gleich acht.«
»Auf einem verlassenen Kahn, nahe der Stelle, wo Kaiser aus dem Wasser gefischt wurde. Darüber hinaus hat jener Barmann mich darauf aufmerksam gemacht, dass wir in der besagten Nacht Vollmond hatten.«
»Na und? Mein Patient ist nicht an einem Wolfsbiss gestorben, sondern an einer Handvoll Wolfsbeeren. Ein weiterer Name für Tollkirschen, der …« Sie biss sich auf die Lippen und sah Liebermann sekundenlang in die Augen. Durch die Venen des Hauptkommissars ging ein leichtes Vibrieren.
»Tollkirschen in ihrer natürlichen Form sind vermutlich nicht gerade ein Standardgift«, sagte er ruhig.
Sie blinzelte. »Das trifft auf alle Pflanzengifte zu, seit die Pharmazie auf dem Vormarsch ist. Es ist acht, ich muss los.«
Ohne ihn weiter zu beachten, deckte sie den Leichnam ab und schob ihn aus dem Raum.
Im Foyer trat Liebermann ihr in den Weg. »Warum haben Sie mich angerufen?«
»Ab Montag ist es schließlich Ihr Fall«, sagte sie und sah an ihm vorbei zur Tür.
Liebermann lächelte. »Ihr Entgegenkommen ehrt mich. Es hat nicht zufälligerweise etwas damit zu tun, dass Sie sich fragen, wie der Ring in Kaisers Hals gelangt ist?«
Dr. Genrich trat einen Schritt vor. Eine beunruhigende Sekunde lang fürchtete Liebermann, sie würde ihm an die Gurgel springen. Aber sie entblößte nur die Zähne, um sich eine Zigarette dazwischenzuschieben. »Stellen Sie sich vor, das weiß ich bereits: Jemand hat ihn reingestopft.«
8
Mit wunden Pfoten und blutverkrusteter Nase kehrte Maja nach Hause zurück. Sie war todmüde. Traurig auch, wobei zumindest das langsam nachließ. Anhaltender Abschiedsschmerz war Majas Sache nicht – ein Umstand, der der unüberschaubaren Menge von Kindern geschuldet war, die sie im Laufe ihres Lebens geboren hatte, nur um sie einige Wochen später wieder zu verlieren. Wo käme man hin, wenn man um jedes einzelne trauerte, während man vielleicht schon die nächsten im Leib trug? Mit Krümel verhielt es sich ein wenig anders, aber Maja gestand sich ein, dass sie auch ihr nie das Gefühl entgegengebracht hatte, das angemessen gewesen wäre, dazu war es zu sehr mit schlechtem Gewissen durchsetzt, sie damals zu spät herausgepresst zu haben. Und nun hatte das Schicksal eines von Krümels Jungen dazu auserkoren, sie dafür zu bestrafen. Es hätte schlimmer kommen können. Was galt eine blutige Nase schon gegen ein verkorkstes Leben?
Vor dem Tisch mit den Obstkisten stoppte Maja, um der Ladeninhaberin Gelegenheit zum Streicheln zu geben. Einmal, zweimal; die Frau klopfte ihr murmelnd auf die Flanken, dann auf den Rücken. Maja kannte die Laute auswendig. Mit der entsprechenden biologischen Ausstattung hätte sie sie mitsprechen können: »Na, meine Schöne.« Schnurrend rieb sie sich an der Wade ihrer Verpflegerin, wartete, bis die Hand sich ihrem Gesicht näherte, und schmiegte ihren Kopf hinein, wobei sie darauf achtete, ihre Nase aus dem Spiel zu lassen. Sie wusste, wie man sich erkenntlich zeigte.
»Fein, fein«, sagte die Frau, als sie sich aufrichtete. Für eine Weile würde nun jede den Geruch der
Weitere Kostenlose Bücher