Katzensprung
kommt gleich, in einer Stunde
bin ich da, warte, es geht ganz schnell.«
Emilio sprang mit dem Aktenkoffer vom Bett und lief in den Flur.
Trudi hörte das Klappern des Schlüsselbundes, ihr Herz krampfte sich so stark
zusammen, dass sie kaum noch Luft bekam.
»Wo ist sie?«
»Die Polizei hat sie aufgegriffen, sie ist bei der Grenzpolizei in
Aachen. Ich hole sie«, rief er, bevor die Tür klappte, »und ich weiß nicht, ob
wir wiederkommen. Vielleicht gehen wir nach Sizilien oder sonst wohin, damit
endlich dieser Wahnsinn aufhört.«
Trudi stand hilflos eingekeilt hinter dem Bett. Als sie hinübergekrochen
war, hörte sie die Reifen von Emilios Alfa Romeo quietschen.
Sie lief in den Flur, wo die Karte von Olga Popovich lag, und wählte
ihre Handynummer.
»Er rast«, schluchzte Trudi, »den kriegen wir nicht, der holt
alles aus dem Alfa raus.«
Sie saß auf der Rückbank des zivilen VW -Passat
der Wuppertaler Polizei, den Josef Lepple steuerte. Olga telefonierte mit der
Grenzpolizei in Aachen und bat die Kollegen, Luna Sassi und ihren Vater, sobald
er auftauchte, bis zu ihrem Eintreffen festzuhalten. Ab der Anschlussstelle
Varresbeck ging es im Schritttempo weiter. Das Radio meldete zäh fließenden
Verkehr bis zum Hildener Kreuz, die A 3 schien aber frei zu sein.
»Im Stau ist er nicht schneller als wir.« Lepple sah aufmunternd
über die Schulter zu Trudi. »Und wir müssen ihn auch gar nicht kriegen, es
reicht, wenn wir ihn in Aachen haben.«
Olga und Lepple hatten Trudi, die vermutete, dass Luna zu ihrer
Freundin Clara in Bordeaux wollte, in der Ottostraße aufgelesen. Sie schilderte
aufgelöst und immer wieder in Tränen ausbrechend ihr Dilemma mit Luna und den
Streit mit Emilio, sie ließ auch die Sache mit dem Geldkoffer nicht aus.
»Ich will nicht, dass in dieser grausamen Sache noch mehr gelogen
und hinter dem Berg gehalten wird«, schluchzte sie, »und ich sehe nicht ein,
dass er sich allein mit dem ganzen Geld absetzt.«
Olga hatte am Anfang der Ermittlungen einmal mit Luna Sassi
gesprochen. Sie hatte auf sie den Eindruck eines verstockten und schwer
pubertierenden, aber eigentlich ganz vernünftigen Mädchens gemacht. Ihre
Verstörung fand Olga angesichts der Verwicklung ihres Vaters in eine so
furchtbare Geschichte verständlich.
Luna hatte ausgesagt, dass sie am Tatabend, wie meistens, gegen neun
nach Hause gekommen sei und sich gewundert habe, dass ihr Vater schon da war.
Er habe auf sie einen relativ normalen Eindruck gemacht, allerdings sei an dem
Abend dicke Luft gewesen. Auf die Frage, ob das häufig so gewesen sei, hatte
Luna geantwortet, sie vermute es, wisse es aber nicht genau, weil ihr Vater
normalerweise nur vormittags zu Hause sei, sie habe nicht so viel Kontakt zu
ihm gehabt. Ihre Mutter habe ihr wohl immer etwas vorjammern wollen, aber sie
habe sich das nicht anhören wollen, sie sei davon schrecklich genervt gewesen.
Olga konnte auch das verstehen und fragte Luna, was sie an den
Nachmittagen nach der Schule so mache.
Sie sei Traceur, antwortete Luna, sie betreibe Parkour.
Olga hatte von dem Trendsport gehört und sich auf YouTube Filme von
den scheinbar schwerelosen Straßenläufern angesehen, die so mühelos über
Hindernisse hinwegflogen, dass es einem den Atem nahm. Auf die Frage, mit wem
sie das mache, ob allein oder in einer Clique, hatte Luna gestockt und dann
gesagt, mit einer Clique. Sie liefen mal über die Wuppertaler Treppen, träfen
sich mal in Elberfeld am Haus der Jugend, mal in Barmen oder Vohwinkel, es gebe
keinen festen Platz, in Wuppertal könne man an vielen Stellen gut laufen.
Olga hatte das Verhalten des Mädchens als ausweichend und unsicher
empfunden, war dem aber nicht nachgegangen. Es fiel ihr jetzt wieder ein, als
sie sich zu Lunas Mutter umdrehte, die das gleiche schmale Gesicht hatte wie
ihre Tochter und auf die gleiche Weise unglücklich aussah. Sie war eine hübsche
Frau mit einer niedlichen Stupsnase, jetzt allerdings abgemagert und erschöpft.
Ihr nachlässig zusammengezurrtes Haar war glanzlos, ihre Haut spannte sich grau
über die Wangenknochen, trüb lagen ihre hellen, normalerweise blitzenden Augen
in dunklen Höhlen.
»Es quält mich, nicht zu wissen, ob mein Mann es war oder nicht«,
sagte Trudi nach einer Weile. »Nicht dass ich es ihm zutrauen würde, aber ich
habe ihm auch nicht zugetraut, dass er mich jahrelang betrügt. Ein paar Flirts,
ja, das kannte ich, aber nie was Ernstes. Er hat mich ein Jahr lang belogen,
dass sich die
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