Katzensprung
unterwegs allein mit Luna sprechen.
Luna schnallte sich an und schob ihre Perücke in die Stirn, die
Augen waren von schwarzen Plastikhaaren bedeckt.
»Bist in einem ziemlichen Stress, was?«
Der Pony nickte und wurde ein Stückchen hochgeblasen.
»Bist du deshalb weggelaufen?«
Luna nickte wieder; Tränen liefen ihr über die Nase.
»Ist diese Clara deine beste Freundin? Oder gibt es noch andere?«
Der Pony zitterte. »Alles Tussen. Konsum, Klamotten, bla, bla,
interessiert mich nicht.«
»Und wofür interessierst du dich?«
»Klar sein, pur sein. Keine Ablenkung. Nicht die Daddel-Scheiße.«
»Kennst du solche Leute?«
»Hm.«
»Was, hm?«
»Kann schon sein.«
Luna drehte den Kopf weg, die Perücke rutschte herunter, und ihre
Kopfhaut wurde sichtbar, aus der schwarze Borsten sprossen.
»Deine Mutter macht sich Sorgen, weil sie nicht weiß, mit wem du
zusammen bist.«
»Tss, tss.«
Luna rieb sich die Wange.
»Die soll sich mal um ihren eigenen Kram Sorgen machen. Bin ich
dafür zuständig, dass sie keine Sorgen hat? Sie weiß, dass ich Parkour mache.«
Sie schwieg wieder, ihre Schultern zuckten.
Der Verkehr auf dem Kölner Ring war zäh fließend. Olga stellte WDR 2 an; der Verkehrsfunk meldete Stau vom
Hildener Kreuz bis zur Autobahnabfahrt Katernberg. Anschließend sangen Simon
und Garfunkel, Olga summte mit.
Luna richtete sich auf. Sie verstaute die Perücke in ihrer
Parkatasche.
»Magst ’nen Müsliriegel?«
Olga griff in ihre Tasche, in der sich ein Vorrat an Riegeln befand,
den Lenka jede Woche auffüllte.
Luna aß hungrig zwei davon.
»Wer könnte das denn gewesen sein mit der Tusse?«
»Du meinst die getötete Frau?«
In Lunas braune Emilio-Augen schossen wieder Tränen. Sie war viel zu
jung für diese Last.
»Das wissen wir nicht. Dein Vater hätte ein Motiv. Er wollte sich
trennen, und sie ließ sich nicht abschütteln.«
»Er war es nicht, das weiß ich.«
»Was macht dich so sicher?«
»Ich hab ihn gefragt, da hat er geweint. Ich hab ihn noch nie so
erlebt. Er hat geschworen, dass er es bereut, dass er sich mit dieser Frau
eingelassen hat, aber dass er mit ihrem Tod nichts zu tun hat.«
»Hast du deinen Vater mal wütend erlebt? Wie ist er dann?«
»Ich hab immer nur meine Mutter wütend erlebt, er verpisst sich
eher. Eigentlich verpisst er sich immer, der braucht mich und meine Mutter nur
als Hintergrund, damit er sagen kann, dass er eine Familie hat.«
»Was war, wenn ihr im Urlaub wart?«
»Die letzten Jahre bin ich mit Mama alleine gefahren, er wollte die
Kneipe nicht zumachen, er sagte, das könnten wir uns nicht leisten. Als ich
klein war, waren wir ein paarmal zusammen in Sizilien bei meiner Tante Serafina
in den Bergen, aber da ist er auch nur rumgerannt von einem Verwandten zum nächsten,
es war immer stressig mit ihm. Wenn er mit zum Meer ging, hat er genervt und
Theater gemacht, hat sich mit den Liegestuhlwärtern angelegt oder mit den
Kellnern. Es hat nie Spaß gemacht, wenn er dabei war.«
Ein Workaholic, Konfliktvermeider und Streithammel also. Diese
Mischung war keine Seltenheit bei einem Mann in Emilios Alter, war Olgas
Erfahrung. Die Jüngeren neigten auch dazu, aber die Frauen machten es nicht
mehr so einfach mit.
Das machte einen allerdings nicht zum Mörder.
Sie fädelte sich am Hildener Kreuz auf die A 46 ein.
»Ich will weg hier«, jammerte Luna in einem erneuten
Verzweiflungsausbruch, »zu Clara oder sonst wohin, meinetwegen auch nach
Sizilien.«
»Du musst doch zur Schule. Was ist mit deinen Freunden, mit denen du
dich nachmittags triffst? Kannst du da nicht mal ein paar Tage wohnen?«
»Ich treff mich mit keinen Freunden.«
Luna versteinerte. Es war nichts mehr aus ihr herauszubekommen.
Olgas Handy ging. Der Kollege Kamann, der mit der Auswertung von
Ramona Wenklers Bankbewegungen beschäftigt war, meldete gehäufte Geldabhebungen
in einer Woche im Mai 2008, dreimal hintereinander dreihundert Euro. Das war
das Jahr, in dem sie im Herbst an der Hauptschule Wichlinghausen angefangen
hatte.
»Fitzer entziffert das Tagebuch«, sagte Olga, »er soll mal gucken,
ob er den Zeitraum einkreisen kann und was da los war.«
An der Ausfahrt Wuppertal-Barmen bot Olga Luna einen weiteren Riegel
an, den diese verschlang. Sie setzte sie vor dem Haus in der Ottostraße ab und
fuhr langsam weiter. Im Rückspiegel beobachtete sie Luna, die nicht ins Haus
ging, sondern unschlüssig die Straße zurückschlenderte. Olga wendete und folgte
ihr
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