Katzensprung
kleinlaut sagte, sie werde den
Rest machen. Er ging ins Schlafzimmer und ins Bad und packte eine Reisetasche.
»Ich bin bei Uwe«, sagte er. Die Tür knallte zu, zum zweiten Mal an
diesem Abend.
Trudi holte den Staubsauger und machte sich daran, die Reste der
Explosion zu beseitigen. Die Schrankruine hängte sie mit einem Tuch ab.
Sie hatte Magen- und Kopfschmerzen, ihr war übel, alles Elend der
Welt stürzte über sie. Weiter abwärts konnte es nicht gehen.
Zwischendurch rief sie ihre Mutter an, die auf Luna wartete und
dabei war, Reibekuchen zu backen. Trudi hatte immer ein etwas gespanntes
Verhältnis zu ihrer früh verwitweten Mutter gehabt, die es nie verwinden
konnte, dass Trudi sich für den windigen Italiener entschieden hatte und nicht
für den angehenden Studienrat, der auch im Rennen gewesen war. So kritisch Oma
Ursel ihre Tochter sah, so nachgiebig und liebevoll stand sie ihrer Enkelin
gegenüber, die sie früher oft gehütet und, wenn Trudi und Emilio am Wochenende
in der Kneipe gearbeitet hatten, mit nach Holland genommen hatte.
Trudi hatte ihrer Mutter bisher weder von der Ehekrise noch von dem
Mord erzählt, jetzt war es nicht mehr zu verhindern. Sie klärte sie kurz und
nüchtern auf. Oma Ursel reagierte wie erwartet pragmatisch und beruhigte Trudi,
sie müsse sich keine Sorgen um Luna machen.
Ihr Unterton signalisierte, sie habe es ja immer schon gewusst.
Trudi nahm eine Flasche Rotwein mit ins Bett und trank, bis ihr
übel wurde. Sie erbrach sich auf der Toilette und konnte nicht aufhören zu
würgen. Sie wünschte sich, sterben zu können, und schlief erst ein, nachdem sie
eine Tablette genommen hatte.
Gegen fünf schreckte sie von pochenden Kopfschmerzen hoch und griff
neben sich in Emilios leere Betthälfte; schlagartig überschwemmte sie der ganze
Stress. Ihr Herz schlug, ein Schweißausbruch rollte heran, der Kopf dröhnte,
die schreiende Luna und der zerborstene Schrank drangen auf sie ein, das
Leichenfoto, der Geldkoffer. Emilios Rücken in der Tür, seine zitternden
Lippen.
Ehe die Migräne sie überfluten konnte, stand sie auf, putzte sich
die Zähne, nahm eine Kopfschmerztablette, zog den Trainingsanzug über den
Schlafanzug, streifte wollene Stulpen über und umwickelte Kopf und Schultern
mit einem Schal.
Die Herbstfarben der Barmer Anlagen waren in der Morgendämmerung nur
zu ahnen, Nebel schwamm zwischen den Bäumen, es war kalt. Trudi lief ein Stück
durch den Park und dann Richtung Fischertal. Die Benommenheit wich langsam von
ihr, und es wurde heller. Was sollte nur werden? Das schwarze Loch riss sein
böses Maul auf.
Die Luft tat ihr gut. Sie beschloss, immer nur bis zum Ende des
Tages zu denken, und dann an den nächsten, irgendwann würde sich wieder eine
Zukunft zeigen. Sie atmete durch, ein Funken Zuversicht glomm auf, und sie
merkte, dass sie Hunger hatte. Seit dem Frühstück des Vortages hatte sie nichts
mehr gegessen.
Tröstlich tauchte in diesem Moment Hakan Göcans erleuchtetes
Ladenschild mit dem türkischen Halbmond auf. Trudi kaufte seit Langem dort;
Hakan hatte ein reichhaltiges Gemüseangebot, außerdem türkische Backwaren, Tee
und Kaffee im Stehausschank.
Er hantierte an der Kaffeemaschine und strahlte, als Trudi
hereinkam.
»Frau Sassi, so früh heute.«
Der Duft des Kaffees und der Käsebörek auf dem Backblech umhüllten
sie wie ein tröstliches Tuch. Noch wärmer umfing sie der orientalische Blick
Hakans, der immer eine kleine Sonne in ihr entzündete. Sie wickelte sich aus
dem Schal und lächelte zurück.
»Ein Kaffee und einen Börek.«
Wie beruhigend, ihn da hantieren zu sehen, versinken konnte man in
dem Duft, dem Zischen, den rot blinkenden Lämpchen. Hakan stellte den Kaffee
und die noch warme Teigtasche vor sie hin.
»Hat Sie der Vollmond aus dem Bett getrieben?«
»Ach, Vollmond, ja dann«, seufzte Trudi, »da muss man sich natürlich
über nichts wundern. Wenn’s mal nur das wäre.«
»Manchmal ist das Leben schwer«, sagte Hakan, »da ist es das Beste,
man lenkt sich ein bisschen ab.«
Die ersten Kunden kamen auf dem Weg zur Schwebebahn herein, um einen
schnellen Kaffee und einen Börek auf die Hand zu nehmen. Hakan hatte eine Weile
zu tun, dann stellte er sich wieder zu Trudi und goss ihr den Becher noch
einmal voll.
»Wenn das mal immer so einfach wäre mit dem Ablenken«, nahm Trudi
den Faden auf. »Manchmal kommt alles ein bisschen dicke, da muss man schon mal
einen Schnitt machen, auch wenn’s wehtut.«
Hakan nickte und
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