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Katzensprung

Katzensprung

Titel: Katzensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Gibiec
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hat, ich wollte es nicht.
Wenn ja, weiß ich, dass er es nicht mit Absicht getan hat, er ist kein böser
Mensch. Ich meditiere, dass alles gut wird und dass er Hilfe bekommt.
    Er hat mir eine goldene Kette
geschenkt, voll schön. Das ist unser Band, das hält uns zusammen, hat er
gesagt.
    Wir haben einen Plan verabredet. Ich
weiß, was ich zu tun habe, wenn er ins Gefängnis kommt.
    Ich gehe den Weg des Kriegers,
Clärchen. Ich bin klar und stark, ich werde die Mission erfüllen, und es wird
alles gut sein.
    Ein Zen-Schüler hat keine Angst, nicht
im Leben und nicht vor dem Tod.
    Ich muss jetzt beweisen, was ich
gelernt habe.
    Clari, ach, wärst du hier.
    Hdl
    Hdggdl
    Luna, furchtlos

Das Geständnis
    Olga erschrak beim Anblick des Jungen, der noch schlechter
aussah als bei seiner Festnahme vor zwei Tagen. Alle Kraft war aus ihm
gewichen, seine Augen waren trübe, er wirkte wie tot. Es musste eine Folter für
ihn sein, den ganzen Tag in der Zelle zu sitzen und sich nicht bewegen zu
können. Zum Glück war er in das neue Jugendgefängnis in Ronsdorf gekommen, wo
es überwiegend Einzelzellen und ein gutes Sportangebot gab. Olga kannte die
Gefängnispädagogin von einer Fortbildung und nahm sich vor, sie anzurufen.
    Am Vorabend hatte der Haftrichter den Haftbefehl wegen dringendem
Tatverdacht und Fluchtgefahr ausgestellt. Verteidiger Schwalbe war schon
morgens um acht gekommen, hatte lange mit dem Beschuldigten gesprochen und dann
angekündigt, sein Mandant werde sich umfassend einlassen.
    Die Staatsanwältin rief kurz vor dem angesetzten Termin um elf an,
sie komme später, man solle schon mal anfangen. Stefan Bauer und Olga begannen
mit der Vernehmung, Lepple führte Protokoll.
    Der Anwalt strahlte Zuversicht und Souveränität aus, er saß neben
Igor, der aufgerichtet auf der Stuhlkante hockte und versuchte, durch
gleichmäßiges Atmen seine Sicherheit wiederzugewinnen. Er sah ins Leere, seine
Augenmuskeln zuckten. Olga bekam keinen Kontakt.
    Igor Wladimowitsch Petrow, geboren 1994 in Kaljasin an der Wolga, ab
2000 wohnhaft in Moskau. Im Jahr 2001 nach Wuppertal übergesiedelt, Mitglied der
jüdischen Gemeinde. Seit der Geburt des behinderten Bruders quasi
verantwortlich für ihn. Der Vater 2006 am Alkohol gestorben.
    Igor wiederholte in einwandfreiem Deutsch, was Olga schon von Ulrike
Henseler erfahren hatte, unbeteiligt, ein nüchterner Bericht.
    »Um Ihre Situation bewerten zu können, ist es wichtig, das
Verhältnis zu Ihrer gerade verstorbenen Mutter darzustellen«, hakte Verteidiger
Schwalbe ein, »vielleicht können Sie das mal erläutern.«
    »Ich hoffe, es belastet Sie nicht allzu sehr«, sagte Olga.
    Igor schüttelte den Kopf und vermied jeden Blickkontakt.
    Er erzählte von seinen Eltern, die im Wolgadorf Kaljasin als
Nachbarskinder aufgewachsen und beide tänzerisch so begabt waren, dass sie auf
die Schule des Bolschoi-Balletts in Moskau kamen und die harte Ausbildung
durchliefen. Sie waren stark und fühlten sich als Glückskinder, ein gerader,
strahlender Weg nach oben lag vor ihnen. Sie heirateten zwischen zwei
Ballettproduktionen, weil Igor unterwegs war, Galina trainierte bis kurz vor
der Niederkunft die Elevinnen im Ballettsaal.
    Der kleine Igor kam drei Wochen nach seiner Geburt zu seiner
Großmutter Nastja aufs Land, die ihn mit der Flasche aufzog. Die Eltern tanzten
sich bis in die erste Reihe hoch, dann begann der Abstieg von Igors Vater.
Wladimir ging auf die dreißig zu, ein für Tänzer gefährlich hohes Alter,
verletzte sich mehrmals, trank immer mehr.
    »Als ich sechs wurde, haben sie mich von meiner Großmutter und von
Kaljasin fortgenommen nach Moskau, damit ich zur Schule gehen und
Tanzunterricht bekommen konnte. Da habe ich mein Paradies verloren und bin in
die Hölle gekommen. Mein Vater war aggressiv, und ich wurde sein Prügelknabe.
Meine Mutter machte einen Tänzer aus mir, sie nahm mich mit zum Training, ich
musste stundenlang zusehen und zu Hause alles nachmachen. In unserer Küche
wurde eine Stange in meiner Höhe angebracht, und ich trainierte täglich ein
paar Stunden. Meine Mutter war sehr ehrgeizig.«
    »Ich würde gerne auf die jüngste Zeit kommen, etwa das letzte Jahr,
seit Ihr Bruder in Pflege war. Wie war es da?«, schaltete sich Stefan Bauer
ein. »Vielleicht könnten Sie mal den Alltag schildern, wie er sich bei Ihnen zu
Hause abgespielt hat.«
    Igor starrte einen Moment vor sich hin, dann richtete er sich auf,
die Augen halb geschlossen.
    Sie murmelt auf Russisch,

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