Katzensprung
denn sei, hatte er gefragt, worauf sie schnippisch geantwortet
hatte, er heiße Hakan Göcan und sei ein netter, verständnisvoller Mann, der ihr
in ihrer Not beistehe. Das hatte ihm die Beine weggezogen, ausgerechnet ein
Türke. Das Wochenende wurde zum Horrortrip, aus dem ihm nicht einmal mehr der
Alkohol heraushalf.
Emilio hatte eine regelrechte Depression – es war eingetreten, was
er sich niemals hätte träumen lassen: Alle Frauen, die ihm nahestanden, waren
ihm von der Fahne gegangen. Ramona sowieso. Das Grauen, das ihn packte, wenn er
an sie und ihr Ende dachte, schnürte ihm immer noch den Hals zu. Dann hatte ihn
seine Tochter verlassen und nun Trudi, ausgerechnet mit einem Türken. Noch
nicht einmal die hübsche Frau Popovich, die er inzwischen gut leiden konnte,
meldete sich mehr, was natürlich im Prinzip ein gutes Zeichen war.
Er nahm sich vor, sie anzurufen und nachzufragen, ob der Tatverdacht
gegen ihn noch bestand oder ob er daran denken konnte, einen Flug nach Sizilien
zu buchen und in der Ruhe und Abgeschiedenheit des kleinen Bauernhofs seiner
Schwester Serafina in den Bergen etwas Abstand von dem Alptraum zu finden.
Wie schön wäre es, wenn Luna mitkommen würde, sie war als kleines
Mädchen so gern dort gewesen. Er sah ihr niedliches Kindergesicht vor sich, und
die Tränen kamen ihm.
Die Sehnsucht nach seiner Tochter überwältigte ihn, und er wählte
Trudis Handynummer. Einen Augenblick befiel ihn Panik, der Türke könnte
drangehen. Trudi meldete sich und klang gar nicht euphorisch und verliebt,
sondern berichtete mit belegter Stimme von der Sache mit Igor und ihren Sorgen
um Luna.
»Sie weiß mehr über die Sache, als sie sagt«, flüsterte sie ins
Telefon, »ich glaube, sie denkt inzwischen auch, dass er damit zu tun hat.
Gestern Nachmittag kam ein Anruf, da ist sie trotz Fieber noch mal raus und war
eine Dreiviertelstunde weg. Wir dürften das nicht der Polizei erzählen, hat sie
gesagt.«
Emilio wankte der Boden unter den Füßen. »Kann ich kommen?«, ächzte
er. »Ich muss sie sehen und ihr beistehen, sie fehlt mir so. Und du auch.«
In Trudi schnappte etwas hoch, aber sie behielt es für sich.
»Komm in einer Stunde und bring Brötchen mit«, sagte sie. »Meine
Mutter hat gleich einen Friseurtermin, dann können wir reden. Von Luna darfst
du nicht viel erwarten, sie ist immer noch total auf Krawall gebürstet.«
Luna erschien im Trainingsanzug in der Tür, als der
Frühstückstisch gedeckt war. Sie hatte fast zwölf Stunden geschlafen und lange
geduscht, jetzt sah sie rosig und erholt aus, das Fieber war verschwunden.
»Hi, Papa«, sagte sie kühl, setzte sich Emilio gegenüber und
verströmte ihre bekannte Mischung aus Arroganz und Überdruss.
Trudi schenkte Kaffee ein und brachte gebratene Eier. Sie rührten in
ihren Tassen und schwiegen, bis Emilio sich nach Lunas Befinden erkundigte.
»Wie soll’s sein«, ließ Luna ihn ablaufen, »im Prinzip blendend,
paar kleine Probleme, aber sonst alles okay.«
»Willst du nicht mit uns sprechen? Wir sind doch deine Eltern, wir
haben dir doch immer geholfen«, flehte Emilio.
»Macht euch keine Sorgen, ich komm schon zurecht.«
Luna titschte mit einem Stück Brötchen ihr Eigelb auf, steckte es in
den Mund und leckte sich die Finger ab.
Trudi beobachtete ihre Tochter aufmerksam und mit zunehmender
Besorgnis, Emilio starrte entgeistert.
»Ihr braucht nicht so zu gucken«, sagte Luna aggressiv, »lasst mich,
ich werde damit fertig. Wenn ich euch zu viel verrate, sagt ihr es den Bullen.
Besser, ihr wisst von nichts.«
Sie aß noch ein Schinken- und ein Käsebrötchen, zog ihre
Trainingssachen an und sah über ihre Eltern hinweg, die sie händeringend
beschworen, sich anzuvertrauen und auf jeden Fall noch einen Tag im Bett zu
bleiben. Luna legte sich eine dünne Kette mit einem goldenen Tröpfchen um den
Hals, die Trudi noch nie gesehen hatte, richtete ihren Nacken auf und ließ ihre
Augen wieder in den Nirwanablick pendeln, der ihren Eltern noch unheimlicher
war als ihre Aggressivität.
»Die Polizei hat ausgefeilte Verhörmethoden, da kommst du nicht so
leicht davon. Die nehmen dich in die Zange, glaub es mir.«
Emilio versuchte es mit Autorität.
»Ich kann die Aussage verweigern, wenn ich mit Igor verlobt bin«,
sagte Luna betont ruhig, »außerdem habe ich bessere Methoden als die. Ich muss
jetzt los, bisschen Training. Morgen gehe ich wieder in die Schule.«
Trudi fragte sie, was das für eine Goldkette sei. Luna
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