Katzensprung
und rückt mit sumpfigen Augen näher.
I, I will be king
And you, you will be queen
Sie grölt mit und greift nach seiner Hand, da verliert er die
Kontrolle und schlägt heftig ihren Arm weg. Die anderen Jungen stehen zusammen
in der Ecke, gucken, tuscheln, pfeifen, sind schon die ganze Zeit feindselig.
Der Russe, die schwule Sau, die Ballettschwuchtel, die sich jetzt auch noch von
der Schlampe anpacken lässt.
Die Jacke schnappen und raus, bloß weg. Trotzdem brennt sich das
letzte Bild als Zeitlupe in seinen Kopf, er wird es lange nicht los.
»Igor, warte, Igor!«
Ihr Greinen, die Trippelschrittchen in dem engen Rock. Sie hat einen
Schuh verloren und knickt um, lacht blöde, hey, sind doch immer gut drauf
zusammen …
Ihr Gesicht verzerrt sich wie bei einem Kind, das zu plärren
anfängt, sie ist aber kein Kind, sondern eine alte, betrunkene Frau, eine
würdelose Frau.
Er rennt den Weg von Gräfrath zum Schwebebahnhof Vohwinkel, innen
tut sich ein Krater auf. Der Mund ist pelzig, Übelkeit schießt hoch, und er
erbricht am Straßenrand das wenige, das er gegessen hat. Er wird die stumpf
bettelnden Augen nicht los.
Er ging nie wieder hin, hörte später, dass das Projekt geplatzt war.
Einmal traf er zwei Jungen aus der Gruppe, sie spuckten aus, als sie
ihn sahen.
»Das war sicher eine gravierende Verletzung«, sagte Olga, »wie
haben Sie das denn verarbeiten können?«
»Am Anfang schlecht, mir wurde übel, wenn ich nur daran dachte. Und
ich wollte nicht mehr Tänzer sein, alles, was damit zusammenhing, war mir
zuwider.«
»Wie ging es dann weiter?«
»Ich habe angefangen, mit Petar herumzulaufen, er wurde vier und
langweilte sich zu Hause, und wenn ich mit ihm lief, wurde ich klarer. Und dann
kam der Zen-Buddhismus. Ich habe zufällig ein Buch in der Schulbibliothek
gesehen und darin Übungen gefunden. Und ich merkte, wenn ich die Atmung und die
Konzentrationsübungen aus dem Buch machte, wurde ich ruhiger und konnte
allmählich diese Erinnerungen loslassen.«
»Fühlten Sie sich von Frau Wenkler gedemütigt?«
Igors Lider flatterten, er strich sich durch die Haare und schlug
die Beine übereinander, rutschte hin und her. Dann richtete er sich wieder in
Meditationshaltung aus.
»Ich habe mich über mich selbst geärgert«, sagte er, »dass ich auf
das besoffene Gequatsche reingefallen bin. Dass ich nicht gemerkt habe, was mit
der los war, und mir Hoffnungen gemacht habe. Ich habe versucht, den Ärger
wegzubekommen, irgendwann gelang es mir auch.«
Stefan Bauer schaltete sich ein.
»Zu dem Zeitpunkt, als Sie mit Frau Wenkler zu tun hatten, wurde in
einer Woche mehrmals Geld von Frau Wenklers Konto abgehoben. Haben Sie dafür
eine Erklärung?«
Igor verlor wieder die Fassung, wurde rot, schlug die Augen nieder.
»Sie hat mir zwei-, dreimal ein paar Hundert-Euro-Scheine in die
Jacke gesteckt«, sagte er leise. »Ich schäme mich bis heute, dass ich das
angenommen habe.«
»Was haben Sie damit gemacht?«
Er sah Olga offen ins Gesicht.
»Wenn Sie von Sozialhilfe leben müssten, würden Sie so etwas nicht
fragen. Ich habe Kleidung für meinen Bruder und für mich gekauft und ein
Sommerkleid für meine Mutter, sie hatte ja nur noch Lumpen.«
Der Anwalt lächelte zufrieden; der Junge machte es gut.
»Die Kollegen haben in Ihrer Wohnung gesehen, dass Sie einige Sachen
angeschafft haben, eine nagelneue Waschmaschine zum Beispiel. Woher hatten Sie
das Geld?«
»Spielhalle«, sagte er. »Ich habe vor zwei Jahren angefangen,
Automaten zu spielen. Ich gewinne fast immer.«
»Alle Spieler glauben, dass sie gewinnen«, sagte Bauer. »In den
meisten Fällen ist das aber eine Illusion.«
»Bei mir nicht. Ich weiß vorher, ob es ein guter Tag sein wird, und
ich spiele nur, wenn ich sicher bin und wenn die Automaten voll sind. Ich kann
aufhören, wenn ich gewonnen habe, das können die meisten nicht.«
»Wie viel haben Sie dann so im Schnitt mitgenommen?«
»Fünfzig, achtzig, hundert Euro.«
»Wie oft?«
»Zwei- oder dreimal in der Woche.«
»Wo haben Sie gespielt?«
»Mal hier, mal da. Als ich noch nicht achtzehn war, habe ich immer
gewechselt.«
»Und seitdem Sie achtzehn sind, regelmäßig am Berliner Platz?«
»Ja«, sagte Igor, »der Betreiber ist bekannt dafür, dass er die
Ausweise kontrolliert.«
»Sind Sie auch dorthin gegangen, weil Sie Landsleute treffen
konnten? Lastwagenfahrer zum Beispiel?«
Igor schüttelte langsam den Kopf. »Ich interessiere mich nicht für
Landsleute«, sagte
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