Katzensprung
er, »ich bin hier zu Hause, wo meine Mutter war und mein
Bruder noch ist.«
»Es ist Ihnen aber bewusst, dass Sie gegen die Gesetze verstoßen
haben, als Sie unter achtzehn gespielt haben«, sagte Olga.
»Ich weise darauf hin, dass ein Jugendlicher das Jugendschutzgesetz
nicht kennen muss«, fuhr Schwalbe dazwischen, »die Verantwortung liegt beim
Spielhallenbetreiber.«
»Wurde nie Ihr Ausweis kontrolliert?«
»Nein«, sagte Igor, »in den anderen Hallen nicht. Ich war mit fünfzehn
schon so groß wie jetzt, man hat mich immer für älter gehalten.«
Die Staatsanwältin erschien während der Kaffeepause, sie machte
einen kampfeslustigen Eindruck und streifte den Anwalt mit herablassendem
Blick.
Gut, dass er den Jungen schützt, dachte Olga, sie scheint schwer in
Stimmung zu sein.
Genervt mit dem Fuß wippend schaute Thekla Braun zur geöffneten Tür,
vor der Bauer stand und telefonierte. Er kam mit rotem Kopf zurück und setzte
sich, auch Igor wurde wieder hereingeführt. Die Staatsanwältin bedeutete Olga
mit einer Handbewegung anzufangen.
»Wie sind Sie nach dem beschämenden Erlebnis, das Sie uns heute
Morgen geschildert haben, dann wieder mit Frau Wenkler in Kontakt gekommen?«
»Es war an diesem Abend, ich weiß nicht genau, wie lange es jetzt
her ist«, begann Igor.
»Freitag, der 30. September«, sagte die Staatsanwältin. Der Junge
nickte.
»Die Straßencafés waren noch geöffnet, es war ja warm. Ich hatte
mich am Alten Markt von Luna getrennt, etwas früher als sonst, weil sie nach
Hause musste. Ich lief über den Wupperfelder Markt, ich wollte noch in die
Spielhalle und bin ein paarmal vom Rand des Bleicherbrunnens auf den mittleren
Absatz gesprungen. Die Technik nennt sich Tic Tac. Diese Übung habe ich immer
gemacht, wenn ich dort vorbeikam.«
Er stockte und sah Olga hilflos an.
»Diese Frau, also Frau Wenkler, saß beim Griechen und hatte mich
wohl schon eine Weile beobachtet. Ich sah sie erst, als sie auf mich zugelaufen
kam, und kriegte einen Riesenschreck. Es fuhr mir richtig durch und durch, ich
hatte sie eigentlich fast vergessen. Sie begrüßte mich überschwänglich, als
wären wir gute Freunde, und zog mich an ihren Tisch. Sie hatte ein Sektglas vor
sich stehen. Es war mir unangenehm, aber ich konnte nicht gehen, ich war wie
gelähmt. Sie zeigte mir ihr neues iPhone, sie war ganz stolz darauf und dachte
wohl, dass mich das beeindrucken würde. Und dann sagte sie, sie würde ein
Filmprojekt mit Jugendlichen vorbereiten, Hip-Hop und Parkour, da würde ich
super reinpassen, sie habe eine ganz tolle Location an der Wupper hinter dem
Elba-Gelände, ob ich mir das nicht mal angucken wolle. Ich bin dann mit ihr in
die Schwebebahn gestiegen, wir fuhren bis Robert-Daum-Platz und gingen zu den
Elba-Hallen.«
Die Staatsanwältin nahm ihn ins Visier.
»Sie sind also gegen Ihre eigene Überzeugung mitgefahren, ist das
richtig? Haben Sie eine Erklärung dafür?«
»Keine richtige, ich frage es mich selbst immer wieder. Vielleicht,
weil sie so überfreundlich war, vielleicht war es eine Art Schuldgefühl, weil
ich damals das Geld genommen hatte und dann abgehauen bin.«
»Vielleicht dachten Sie ja auch, sie steckt Ihnen wieder was zu, und
waren dann enttäuscht, dass sie es nicht tat?«
»Ich bitte darum, derartige Suggestivfragen zu unterlassen«,
parierte Anwalt Schwalbe. »Mein Mandant hat gerade ausgeführt, dass er keine
Geldsorgen hatte.«
Olga schaltete sich wieder ein. »Können Sie ungefähr sagen, wann Sie
mit ihr nach Elberfeld gefahren sind?«
»Vielleicht zwischen halb sieben und sieben, es dämmerte, aber es
war ja ein heller Tag, man konnte noch gut sehen.«
Igor stockte und streckte die Beine, stand auf, machte Kniebeugen,
setzte sich wieder. Olga ließ ihn nicht aus den Augen. Bauer hatte begonnen, im
Raum hin und her zu laufen, Lepple hackte auf der Tastatur.
Die Staatsanwältin blätterte in Unterlagen und rieb ihre Fingernägel
gegeneinander. »Ja, weiter bitte, was passierte dann?« Ihr Ton war ungehalten.
Igors Stimme klang gepresst.
»Ich kannte den Platz, ich war ihn ganz früher mal gelaufen. Ich
habe Müll aufgehoben, das mache ich immer so. Frau Wenkler kam mit dem iPhone
hinter mir her und filmte. Ich habe gesagt, sie soll das lassen, aber sie
machte weiter. Dann bin ich auf die Mauer gesprungen und oben hin und her
gelaufen, ich wollte weg und wusste nicht, wie. Sie holte einen Wodkaflachmann
aus der Tasche und trank, dann spielte sie auf dem Handy
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