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Katzensprung

Katzensprung

Titel: Katzensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Gibiec
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›Heroes‹ in voller
Lautstärke. Sie lief unten an der Mauer entlang, immer hinter mir her, und
filmte, sie schrie irgendwas, ›Igor, Igor, guck mal runter, wie geil ist das
denn‹, so was in der Art. Sie verlor ihren Schuh und knickte mehrmals um. Ich
hoffte, sie würde fallen und endlich aufhören. Aber sie kam wieder hoch und
versuchte, nach meinen Beinen zu greifen.«
    Er schwieg und atmete, dann ruckte er mit dem Kopf, und eine breite
Haarsträhne fiel über sein Gesicht. Eine Weile sagte niemand etwas.
    »Dann haben Sie getreten«, sagte die Staatsanwältin triumphierend.
»Sie haben ihr gegen den Kopf getreten, Sie wollten sie loswerden, sie war
Ihnen lästig.«
    »Ich halte auch dieses für eine unzulässige Unterstellung«,
schnaubte der Anwalt, »nehmen Sie das bitte zu Protokoll.«
    Lepple griff sichtlich genervt in die Tastatur.
    »Also bitte«, sagte die Staatsanwältin, »wie ist Ihre Version?«
    »Ich kann mich nicht erinnern, wie es passiert ist«, sagte Igor nach
einer Weile. »Ich versuche und versuche es, ich mache Zen-Übungen mit der
Frage, was dann passiert ist, aber es kommt nichts.«
    »Wann setzt Ihre Erinnerung wieder ein?«
    Olga beugte sich vor und versuchte, ihn zu fixieren; seine Augen
waren von Haaren bedeckt.
    »Ich stoße diesen Körper hinunter ins Wasser, er ist wie ein
Gegenstand. Ich sehe jede Einzelheit vor mir, die zerrissene Strumpfhose, den
Stoff ihres Rockes und ihrer Bluse, die rote Unterwäsche. Ich denke nichts, es
ist, als täte das alles jemand anders. Das Wasser schießt vorbei, und sie
treibt gleich ab.«
    Seine Hände zitterten, er hatte Mühe, die Fassade
aufrechtzuerhalten.
    »Was haben Sie dann gemacht?«
    »Alles eingesammelt, den einen Schuh, das Handy, die Tasche, und in
eine Tüte getan, ich war wie ein Automat.«
    »Aber vorher haben Sie noch das Handy ausgestellt, wir konnten es
nicht orten. War das auch automatisch? Oder nicht doch kühl überlegt und
kalkuliert?«
    Die Staatsanwältin wippte angriffslustig mit dem Fuß, der Anwalt
blieb gelassen.
    »Ich bitte, auch hier zu protokollieren, dass dies die Auffassung
der Staatsanwaltschaft ist und keineswegs die meiner Mandantschaft.«
    »Aber warum hat er es ausgestellt? Das würde uns doch
interessieren«, sagte Stefan Bauer. »Es passt nicht zu dem planlosen,
unbewussten Zustand, den Herr Petrow eben geschildert hat.«
    Der Anwalt sah Igor an, der sich wand. Schließlich strich er sich
die Strähne aus dem Gesicht.
    »Ich erinnere mich, dass das Handy da lag, das Display leuchtete,
als würde mich ein blindes Auge ansehen, so kam es mir vor. Da muss ich es wohl
ausgeschaltet haben.«
    »Haben Sie das im Protokoll?« Die Staatsanwältin sah Lepple an, der
die Schultern hochzog und nickte.
    »Und dann?« Olga beugte sich vor, sie wollte es zu Ende bringen.
    »Dann bin ich nach Hause gelaufen und habe irgendwo die Tüte
weggeschmissen.«
    »Wo genau?«
    »Das weiß ich nicht mehr, es könnte in Heckinghausen gewesen sein,
da bin ich durch Gärten und Höfe gelaufen. Ich habe die Sachen irgendwo über
eine Mauer geworfen, daran erinnere ich mich.«
    »Suchmannschaft, gleich morgen früh«, kommandierte die
Staatsanwältin. »Und Herr Petrow geht mit, Ortstermin, vielleicht erinnert er
sich dann, wo es war.«
    ***
    Am nächsten Morgen bekam Trudi einen Anruf von Olga Popovich,
sie müsse Luna noch einmal sprechen, nach Möglichkeit am Nachmittag des
folgenden Tages im Präsidium.
    »Meine Tochter will sich auf ihr Aussageverweigerungsrecht berufen.
Sie sagt, sie sei mit dem Jungen verlobt«, sagte Trudi. »Sie können sich
vorstellen, wie schockiert wir sind. Aber ich muss natürlich zu ihr stehen, sie
ist mein Kind. Außerdem könnte ich sie sowieso zu nichts zwingen, sie ist
sturer als eine Herde Esel.«
    »Vernehmen müssen wir sie trotzdem. Morgen um fünfzehn Uhr?«
    »Ich will es versuchen«, sagte Trudi. »Versprechen kann ich nichts.«
    »Sie können ihr sagen, dass ich sie sonst zwangsweise vorführen
lassen muss.«
    »Sie möchte mitgehen, wenn Igors Mutter beerdigt wird. Ist das
möglich?«
    »Es steht ihr frei«, sagte Olga, »darüber haben wir nicht zu
bestimmen.«
    Luna war in der Schule, Trudi saß verloren und von widerstreitenden
Gefühlen zerrissen am Küchentisch ihrer Mutter, die unterwegs zu einem
Arzttermin war. Die letzte Begegnung mit Emilio saß ihr in den Knochen. Wie
klein und schwach er geworden war, wie ängstlich und sprachlos. Das kannte sie
nicht an ihm. Es war sympathisch,

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