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Kauft Leute

Kauft Leute

Titel: Kauft Leute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Korssdorff
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ins Leere, als gäbe es nichts zu gewinnen. Das Schauspiel in der Auslage lag ihnen nicht, und die Führer vermieden es, vor den Windows der Alten stehen zu bleiben. Viele der jungen »Helden« jedoch machten eine Show aus ihrer Anwesenheit in der Kabine. Sie flirteten mit den Zuschauern, zeigten ihre Muskeln, tanzten zu unhörbaren Rhythmen, deuteten einen Striptease an oder spielten pantomimisch und mit großem Körpereinsatz Arbeitsszenen nach. Manchmal lockte einer so fast alle Kunden an sein Fenster, und die weniger Extrovertierten hatten das Nachsehen. Alle hatten sie aber eines gemeinsam: Sie machten einen sauberen und gepflegten Eindruck, die Haare gewaschen, die Fingernägel gestutzt, der Teint frisch. Und wer darauf achtete, merkte, wie sie ihre Besonderheiten betonten: Wer gute, regelmäßige Zähne hatte, lächelte; wer kräftige Waden besaß, krempelte die Hosen hoch; die mit schönen Locken trugen sie lang, und wer mit einem markanten Kinn gesegnet war, rasierte es sauber und reckte es den Zusehern entgegen … Jedes Attribut, Unterscheidungsmerkmal und besondere Kennzeichen war wertvoll und konnte vielleicht verhindern, dass man in einer Reihe von 30 Männern farblos blieb und unterging.
    Lars gab der Gruppe ein paar Minuten Zeit, durch die Gänge zu streifen, bevor er sie wieder einsammeln würde, um ihnen die Terminals zu erklären und die üblichen Fragen zu beantworten. Manchmal nutzte er die Zeit auch, um mit jemandem unter vier Augen zu plaudern, bei dem er mehr inneren Widerstand spürte als in der restlichen Gruppe. Nicht aus missionarischem Eifer, bloß weil er umsatzbeteiligt war. Kam es, während Lars eine Gruppe führte, zu einem Verkauf, erhielt er Prozente. Und er hatte die Erfahrung gemacht, dass die Gefühle jener, die anfangs schockiert reagiert hatten, oft ins Gegenteil umschlugen, und gerade hier ein Abschluss zu holen war. Aus dem gleichen Grund waren alle Führer bei HÜMANIA schräge Vögel: Tätowierte, Fette, Stotterer, Hinkebeine, afrikanische Kleinwüchsige, alles da. Anfangs fühlten sich viele Kunden abgestoßen, oder irgendein Vorurteil regte sich, doch dann begannen die Führer, sich selbst auf die Schippe zu nehmen und ihre Andersartigkeit ganz gezielt anzusprechen, und durch diesen Abbau an Spannung, die absichtlich herbeigeführt worden war, entstand eine Bindung zwischen Gruppe und Führer. Vertrauen entwickelte sich. »He, dieser Lars sieht aus wie ein verdammter Punk, aber der ist nicht so – der weiß, wovon er redet!« Und so hatten auch jene Besucher, die dem System erst skeptisch, dann aber zunehmend tolerant gegenüberstanden, den größeren emotionalen Weg zurückgelegt, als jene, die von Anfang an keine Einwände hatten, und waren oft leichter zu motivieren, sich voll und ganz auf das Abenteuer HÜMANIA einzulassen.
    Lars bemerkte, dass der Junge mit den Kopfhörern, der die Vorstellung, Menschen zu kaufen, vorher noch abstoßend gefunden hatte, nun mit einem faszinierten Lächeln durch die Gänge lief, mit seinem Handy Fotos der Männer hinter den Scheiben machte und mit den Terminals spielte, über die der Preis der »Ware« gesteuert wurde. Lars wusste, dass der Bursche HAUS 2 bis 5 auslassen, und nach den Arbeitern direkt Richtung HAUS Nummer 6 eilen würde. Und nächstes Wochenende würde er mit seinem Vater wiederkommen, der dem Sohn eigentlich einen Wagen zur Volljährigkeit schenken wollte, jetzt aber einen anderen Wunsch erfüllen musste. Lars kümmerte sich nicht weiter um ihn. Stattdessen stellte er sich zu der Frau Ende dreißig, die mit Mann und Kind hier war.
    Angela betrachtete einen hübschen jungen Kerl, der vielleicht 22 Jahre alt war, einen rasierten Schädel hatte und lässig an der Seitenwand seiner Box lehnte. Er hielt eine Sense und kaute an einem Roggenhalm. Sein Blick verlor sich im ländlichen Horizont, und ein kleiner roter Spot an der Decke seiner Box zauberte die wehmütige Röte eines Sonnenuntergangs auf sein Gesicht. Angela hatte den Bildschirm vor seiner Box berührt, wo nun eine hohe vierstellige Euro-Summe aufleuchtete. Als sie Lars neben sich bemerkte, seufzte Angela und flüsterte: »Man möchte ihn gleich mitnehmen, aber wir hätten gar keine Verwendung! Wieso muss er … hier sein?«
    Lars flüsterte nun ebenfalls, obwohl sich andere Gruppen lautstark unterhielten und manche Besucher quer durchs Haus riefen, um Freunden eine Entdeckung mitzuteilen. »Ich kenne seinen speziellen Fall nicht, aber die meisten sind hier,

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