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Kautschuk

Kautschuk

Titel: Kautschuk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Dominik
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Er nahm den Hörer ans Ohr. »Ah – guten Tag, Frau Johanna! Ja – ich bin noch hier – wollte gerade zu Ihnen ... Ja, gewiß, sehr gern ... Wie? Eine wichtige Nachricht? Hm – hm, meinen Sie etwa die aus Wien? Ja – eben wurde sie mir mitgeteilt. In einer Viertelstunde bin ich dort!« —

»Villa Terlinden!« sagte er seinem Chauffeur.
    Der Wagen rollte durch die Ausläufer der Vorstadt zu der Villenkolonie, die von den Werken für ihre höheren Beamten errichtet worden war. Clemens Terlinden war einer der Direktoren. Sproß einer jener Dynastien, die vor zwei Menschenaltern am Rhein die Grundlagen der deutschen chemischen Industrie gelegt hatten. Auch Johanna, seine Frau, entstammte solchem Geschlecht. Finanzpolitik, Werkräson hatten zum Zustandekommen ihrer Ehe stark beigetragen.
    Bis vor Jahresfrist hatte Fortuyn nur geschäftlich mit Direktor Terlinden zu tun gehabt. Da kam der Tag, der ihre Geschikke für immer verknüpfte. Ein Gastank im Werk war undicht geworden – Terlinden in unmittelbarer Nähe des Behälters bewußtlos zusammengebrochen. Fortuyn drang als erster in den vergasten Raum und rettete den Ohnmächtigen ins Freie. Zwar hatte ärztliche Kunst vermocht, Terlinden am Leben zu erhalten; seine Gesundheit jedoch war für immer zerstört. Ein siecher Mann, verbrachte er seine Tage zwischen Bett und Rollstuhl. Und mit der Hartnäckigkeit, die hoffnungslos Kranken oft eigen ist, drang er darauf, seinen Lebensretter immer wieder in seinem Hause zu sehen.
    Fortuyn kam, sooft Clemens Terlinden nach ihm verlangte. Kam aus tiefer Teilnahme für den Mann, den ein grausames Geschick noch bei Lebzeiten aus der Reihe der Schaffenden gestrichen hatte. Doch trotz seiner häufigen Besuche gewann er zunächst keinen tieferen Einblick in Terlindens Ehe. Wenn er kam, empfing ihn regelmäßig Frau Johanna. Nach einem kurzen Gespräch über Tagesneuigkeiten, gelegentliche Theaterbesuche und dergleichen geleitete sie ihn dann ins Krankenzimmer, holte eine kleine Erfrischung, ließ mit einem Scherzwort die beiden allein. Bei alledem war Fortuyn Johanna Terlinden niemals einen Schritt nähergekommen. Kaum einmal ein Wort, das über die konventionelle Unterhaltung hinausging. Wenn er sich dann später verabschiedete, brachte sie ihn wieder zur Tür, entließ ihn mit freundlichem Händedruck.
    Eine seltsame Frau, diese Johanna Terlinden! Jung, schön, voller Lebenslust, mußte sie ihre besten Jahre an der Seite eines hoffnungslos Kranken vertrauern, dessen Ende nicht abzusehen war. Sollte es nicht Stunden geben, in denen ihr Lebensmut versagte? Je öfter Fortuyn mit Johanna in Berührung kam, desto mehr reizte es ihn, hinter das Geheimnis ihrer ewig gleichen Maske zu schauen. Ja, es geschah sogar, daß mitten in seiner Arbeit plötzlich das Bild dieser Frau mit ihrem unenträtselbaren Lächeln vor ihm auftauchte. Eine übermenschliche Selbstbeherrschung mußte sie besitzen. Obgleich er sie auf das schärfste beobachtete, war es ihm nie gelungen, einen Blick in ihr Innerstes zu tun, der ihm ihr wahres Wesen enthüllt hätte. Wie mußte sie leiden! Immer tiefer wurde sein Mitleid mit solch qualvollem Martyrium – immer stärker, immer wärmer drängten seine Gefühle zu ihr hin.
    Ein trüber Novembertag endlich sollte ihm die Lösung bringen. Das erste Mal, daß Johanna ihn nicht bei seinem Eintritt empfing. Die Stimmung des Kranken, in der letzten Zeit schon stark wechselnd, war außerordentlich gereizt. Fortuyn verabschiedete sich bald. Zum Abend war eine Einladung zu einem großen Fest bei Kampendonk an ihn ergangen – als Auftakt zu den Winterfestlichkeiten. Als Fortuyn den Kranken verließ, blickte er sich beim Durchschreiten der Vorzimmer vergeblich nach Johanna um. Da glaubte er aus einem verdunkelten Nebenzimmer ein unterdrücktes Weinen zu hören. Er schob den Vorhang beiseite und erkannte Frau Terlinden, die auf einer Couch lag, das Antlitz in den Händen vergraben.
    Zögernd trat er näher. Der dicke Teppich dämpfte seine Schritte. »Frau Johanna!« Er faßte ihre Hände, schob sie zu Seite.
    Sie richtete sich hastig auf, mühte sich um Fassung und Haltung. Ihre Hand tastete nach dem Taschentuch. »Verzeihung, Herr Fortuyn!« stammelte sie gequält. »Ich wußte nicht, daß Sie ...«
    »Gnädige Frau! Ich bitte Sie ... was ist Ihnen? Kann ich Ihnen helfen? ... Alles will ich tun – für Sie, Johanna!«
    Waren’s seine Worte, war’s seine Stimme, war’s seine Nähe? Sie schlang ihre Arme um seinen Hals,

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