Kautschuk
Zeit, daß ich gehe!« fuhr Schappmann fort. »Den ganzen Tag auf’n Beinen – da wollen die alten Knochen nicht mehr. Und wenn denn noch so’n Haufen Ärger dazwischenkommt, da freut man sich, daß jetzt alles ein Ende hat. Na, prost, Kollege Wittebold! Spülen wir den Kummer weg! Es hat mich lange genug gewurmt!«
»Na, was ist Ihnen denn für ‘ne Laus über die Leber gelaufen?« fragte Wittebold.
Schappmann strich sich den Schaum aus dem Bart, prustete ein paarmal. »Ja, das war ‘n regelrechter Krach, den ich hatte. Mit dem Herrn Hempel vom Tresor. Na, daß Sie’s wissen: Das ist der, der die ganzen Vorschriften in seinem Geldschrank hat. Der sagte mir doch heute glatt vor den Kopf, ich hätt’ so’ne Vorschrift verloren, wo drin steht, wie man den ganzen Deubelskram macht. ›Analyse‹ sagen sie auch manchmal. Und das wär’ ‘ne Bummelei von mir, und das könnt’ schweren Skandal geben. Und wie Gott den Schaden besah, war alles nicht wahr. Ich hatte gar nichts verloren!«
»Analysen verlieren«, meinte Wittebold, »das wär’ allerdings eine schlimme Sache. Solche Dinge werden doch gehütet wie Gold. Wie war denn das?«
»Das war so, Kollege: Der Herr Doktor Hempel gibt mir ‘nen Haufen Papiere, die ich zu Doktor Stange bringen sollte. Ich steck’ die in meine Mappe und geh’ rüber. Leg’ alles auf Herrn Stange seinen Schreibtisch und ziehe wieder los. Wie ich nach ‘ner halben Stunde gerade bei Doktor Fortuyn bin, kommt einer gelaufen, ich soll mal gleich zu Herrn Hempel kommen. Na, wie ich da reinstiefle, krieg’ ich doch ‘nen Schreck: Fährt der auf mich los, ich hätt’ ‘ne Betriebsvorschrift verloren! Unter den Papieren für Doktor Stange wär’ sie gewesen, und der hätte sie nicht gekriegt. Na, ich blieb ganz ruhig. Machte meine Mappe auf. Die war leer. Sagte: ›Was Sie mir gegeben haben, hab’ ich hier reingepackt und bei Herrn Doktor Stange auf den Tisch gelegt. Wenn der sie nicht gekriegt hat, denn is sie eben nicht dabeigewesen.‹ – Er guckt mich ‘nen Augenblick ganz dämlich an, geht an seinen Schrank und sucht. Fängt an zu jammern, er könnt’ beschwören, daß er sie mir gegeben hätte. Und wenn sie weg wäre, ginge es mir und ihm schlecht. Na, und wie er noch so mitten drin ist, da klingelt’s. Er nimmt’s Telefon ... Das hätten Sie sehn sollen, das Gesicht! Eben noch wie’n Deibel, und auf einmal wie’n süßer Engel. Nickt immer ins Telefon. Spricht: ›Gut, gut – Herr Doktor!‹ Und denn zu mir: ›Sie ist da! Herr Stange hat sie! Und nehmen Sie’s nicht übel, Schappmann!‹ Er fingerte so mit seiner Hand ‘rum. Aber ich tat, als ob ich’s nicht sähe, und sagte bloß: ›Na – denn guten Morgen!‹«
»Ein Glück für Sie, daß die Sache so ablief, Kollege! Glaub’ gern, daß er sonst mächtigen Skandal gemacht hätte. Na, prost!«
Schappmann hatte sich eine frische Pfeife gestopft. »War da noch so’ne Geschichte heute ... Ging mich ja weiter nichts an, aber schön war’s nicht.«
»So? Na – erzählen Sie mal!«
»Wie ich da durch die Unterführung zu Doktor Stange gehe, kommen mir zweie aus der Montageabteilung entgegen. Auf einmal – es war scheußlich anzusehen – knallt der eine auf den Asphalt hin, als ob ihn ‘ne Granate umgeschmissen hätte. Zappelt mit den Armen und Beinen, hat Schaum vorm Mund. Der andere hebt ihm den Kopf hoch, blökt mich an: ›’n Glas Wasser! Schnell – schnell!‹ Ich seh’ mich um, die Toilette war am anderen Ende des Flusses. Ich sause los, fülle ein Glas voll und bring’s dem hin. Und nun preßt der eine Monteur dem Krampfbruder die Zähne auseinander und pumpt ihm das ganze Glas ‘rin. Na – der macht die Augen auf, und dann wurde er ruhiger.«
»Aber wieso? Ging denn das so leicht? Dabei hätte Ihnen am Ende doch was aus der Mappe rutschen können?«
»Nee!« sagte Schappmann, überlegen lächelnd. »Das hatt’ ich schon vorher bedacht. Die Mappe nahm ich ja gar nicht mit. Die hatt’ ich bei den Monteuren da an die Wand gestellt.«
Wittebold, der Schappmann stillvergnügt zugehört hatte, wurde plötzlich ernst. »Kannten Sie denn die Monteure?«
»Kann mich nicht erinnern. Die blauen Affen sehn ja einer aus wie der andre. Das heißt, der Krampfbruder, der hatte so ‘nen schwarzen Spitzbart.«
Wittebold trank den letzten Rest aus seiner Bierflasche und wollte gehen.
»Na«, sagte Schappmann, »wenn Sie morgen mit auf die Kegelbahn kommen, dann werden Sie wohl einen ausgeben
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