Kautschuk
war der Lauscher neben dem Knieenden, packte ihn an den Schultern und riß ihn in die Höhe. »Sie erbärmlicher Lump! Sie Schuft! Jetzt hab’ ich Sie!«
Der Ertappte drehte sich um, hob die Faust, wie um sich zu verteidigen, und ließ sie sinken. »Oh – Sie sind es, Herr Doktor Fortuyn?«
»Jawohl, Herr Wittebold, alias Doktor Wilhelm Hartlaub aus Ludwigshafen! Ich bin es!«
Fortuyn hatte ihm die Worte laut ins Gesicht geschrien. Wittebold fuhr sich ein paarmal über die Augen, wie um sich zu sammeln. Sagte dann leise: »Ich möchte Sie bitten, Herr Doktor, die Tür zu schließen. Es wäre ja eigentlich meine Aufgabe – als Laboratoriumsdiener; aber Sie könnten dann argwöhnen, ich wollte die Gelegenheit zur Flucht benutzen.«
Er sprach völlig ruhig und gelassen. Fortuyn meinte sogar einen Zug von Ironie und Humor um seine Mundwinkel spielen zu sehen.
Wittebold fuhr jetzt fort: »Ich halte es für besser, wenn die Tür geschlossen wird. Es empfiehlt sich nicht, daß irgend jemand draußen etwas von der Unterredung zwischen Ihnen und mir hört.«
»Was soll das alberne Gewäsch, Sie unverschämter Mensch? Eine Unterredung zwischen Ihnen und mir? Ihre Frechheit übersteigt noch fast Ihre Gemeinheit. Ich werde Sie sofort dem Sicherheitsdienst zuführen.«
»Das wäre übereilt, Herr Doktor! Vielleicht denken Sie anders, wenn Sie sich doch herablassen, dem so schwer verdächtigten Bürodiener Wittebold, alias Doktor Wilhelm Hartlaub, eine Unterredung zu gewähren.«
Fortuyn stand unschlüssig. Der auf frischer Tat Ertappte – zweifellos wollte er doch den Rollschrank erbrechen, wo viel wertvolles Material aufbewahrt wurde – zeigte nicht eine Spur von Schuldbewußtsein. Im Gegenteil: er legte eine Sicherheit an den Tag, die nach alledem, was Fortuyn am heutigen Abend gesehen und in früheren Beobachtungen festgestellt hatte, unbegreiflich war.
Mechanisch drehte Fortuyn sich um, ging zur Tür, sperrte sie ab. »Ich halte es zwar für unnötig, nach dem, was ich alles von Ihnen weiß, eine Sekunde an Sie zu verschwenden. Aber immerhin, falls Sie wirklich etwas zu Ihrer Rechtfertigung vorzubringen haben, so sagen Sie es!«
»Da Sie, Herr Doktor Fortuyn, wie Sie sagten, mich schon längst in Verdacht haben, werde ich zu meiner Rechtfertigung etwas eingehendere Ausführungen machen müssen. Ich möchte daher vorschlagen, wir setzen uns.«
In Fortuyns Gesicht schoß jähe Röte des Zorns. Die Dreistigkeit dieses erbärmlichen Spions ging über alle Grenzen. Ohne Notiz davon zu nehmen, daß Wittebold sich setzte, ging er mit starken Schritten in dem Räume auf und ab. »Nun fangen Sie endlich an!«
Wittebold deutete nach dem Rollschrank. »Dies das letzte Corpus delicti. Damit wollen wir anfangen!« Er kniete wieder nieder und ließ seine Taschenlampe aufleuchten. »Vielleicht bemühen Sie sich einmal hierher, Herr Doktor, und betrachten sich das Schloß. Bei genauem Hinsehen werden Sie merken, daß um das Schlüsselloch herum der Glanz des Messings matter ist und daß sich da Spuren von Wachs befinden. Auf diese Spuren hab’ ich schon lange gewartet. Daß sie nicht von mir herrühren, ist wohl klar. Denn wenn ich Wachsabdrücke nehmen wollte, könnte ich das am Tage viel bequemer.« Mit seinem Taschenmesser fuhr er an den Rändern des Schlüssellochs entlang, zeigte dann Fortuyn die Schneide. »Es dürfte Ihnen ein leichtes sein, Herr Doktor, diese Substanz mit einigen Reagenzien als Wachs festzustellen.«
Fortuyn schaute Wittebold unsicher an. »Gut! Nehmen wir an, es wäre Wachs! Und von anderer Hand! Doch das berührt in keiner Weise das übrige, was ich von Ihnen positiv weiß.«
»Gewiß, nicht, Herr Doktor Fortuyn. Aber ich sagte, wir wollten von hinten beginnen – und da glaubte ich, das wäre der nächstliegende Punkt.«
»So! Wenn Sie meinen, Verehrtester? Was kommt denn jetzt?«
»Ja –«, sagte Wittebold mit einigem Zögern, »ich glaube, es wäre doch besser, wenn ich, um eine logische Darstellung zu geben, chronologisch vorginge.«
»Ah!« erwiderte Fortuyn spöttisch. »Von Ihrem neuesten Beruf als Zeitungsverkäufer in Hannover möchten Sie wohl nicht gern was sagen?«
Wittebold stutzte. Dann huschte ein Lächeln über seine Züge. »Dadurch kamen Sie mir wohl auf die Sprünge? Und ich glaubte, ich hätte mich genügend unkenntlich gemacht! Vielleicht hätt’ ich doch lieber die blaue Brille, die ich drin im Hotel trug, auch draußen aufbehalten sollen. Dann würden Sie mich sicher
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