Kautschuk
machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ein lebender Leichnam! Wenn Gott ihn morgen erlöst, wird allen – und auch ihm – wohl sein. Warum nicht heute schon offen sprechen, Johanna? Meine Gefühle für dich werden später nicht anders sein als jetzt. Und du? Wenn ich heute auch weiter nichts mitnehme als das Bewußtsein, dir nicht gleichgültig zu sein – die Hoffnung, daß unsere Wege sich in Zukunft treffen könnten ...«
»Niemals! Niemals!« Johanna war unfähig, sich länger zu beherrschen. »Wie kannst du das wagen? Du mißbrauchst das verwandtschaftliche Verhältnis, in dem wir stehen!«
Düsterloh war aufgesprungen. »Verzeih mir, wenn ich mich hinreißen ließ!« Sie wollte gehen. Er trat ihr in den Weg. »Johanna, ich bitte dich – beschwöre dich ...« Sie schob ihn brüsk zur Seite; da rief er in unverhülltem Hohn ihr nach: »Ja, ja! So ist’s also wahr, was ich befürchtete: Ein anderer – dieser Fortuyn – liegt dir im Sinn! Wie recht hatte doch der arme Clemens!«
Sie wandte sich noch einmal zu ihm um. »Du wagst es, den Namen auszusprechen? Nachdem du eben erst ...« Sie kehrte ihm den Rücken, warf die Tür hinter sich zu.
Herr Pedro Gallardo hatte für seine geschäftlichen Verhandlungen mit Direktor Düsterloh einen schlechten Tag erwischt. Er war Einkäufer für südamerikanische Großhandelshäuser in chemischen Produkten und pflegte halbjährlich in Europa seine Abschlüsse zu tätigen. Düsterloh als Verkaufsdirektor hatte schon seit Jahren mit ihm zu tun.
Wie immer, ging auch heute der Handel nicht ohne zähes Feilschen von Seiten Gallardos ab. Doch noch nie hatte er Düsterloh so hartnäckig und unfreundlich gefunden. Mit einer verzweifelten Gebärde reckte er die Arme beschwörend zur Zimmerdecke. »Santa madre – solche Preise? Unmöglich, Herr Direktor! Ich darf sie Ihnen nicht bewilligen. Muß erst noch mal telegrafisch mit meinen Auftraggebern Rücksprache nehmen.«
Düsterloh zuckte die Achseln. »Wie Sie wollen. Ich sagte Ihnen aber schon, daß ich morgen früh nach Hannover fahre – zu Besprechungen mit unseren Großabnehmern.«
»Hm – wenn ich die Depesche sofort wegschicke, könnt’ ich bis morgen abend Antwort haben. Wie war’s, Herr Direktor, wenn Sie mir den morgigen Abend opfern? Da könnten wir vielleicht unser Geschäft ins reine bringen.«
»Meinetwegen! Also auf Wiedersehn!« —
Am nächsten Abend saßen sie in einem Hotel in Hannover zusammen. Gallardo, den Kopf rot vor Eifer und vielem Reden, gestikulierte und beschwor mit Mund und Händen den Direktor, wenigstens noch ein Prozent nachzulassen; sonst verdiene er ja gar nichts an dem Geschäft.
Düsterloh, den der gute Wein in bessere Laune versetzt hatte, mußte immer wieder bei dem komischen Anblick lachen, den der lebhafte Südländer bot.
»Auf den Schreck erst mal ‘nen Schluck!« Gallardo griff nach der Flasche. »Cospetto – die ist leer!« Er klopfte mit dem Ringfinger ans Glas.
Als er den Arm zurückzog, folgten Düsterlohs Augen unwillkürlich seiner Hand. »Ah, Herr Gallardo – der Ring da an Ihrem Finger ... Auch ins Ehejoch gespannt?«
»Ich?« Gallardo streckte in komischem Entsetzen die Hände weit von sich. »Wie kommen Sie darauf?«
»Nun – ist das etwa kein Ehering?«
»Das hier?« Gallardo betrachtete lachend den goldenen Reif an seiner Rechten. »Nein, Herr Direktor. Nur mein Europaring. Ring für Ehe auf Zeit. Man vermeidet dann Schwierigkeiten auf der Reise, in Hotels, mit solch kleinem Talisman. Kennen Sie diese glückliche Einrichtung nicht?«
Düsterloh lachte laut heraus. »Wer ist denn die Gattin auf Zeit? Wo haben Sie sie aufgegabelt?«
»Eine Französin, Herr Direktor. Ich habe mit den Schönen dieses Landes die besten Erfahrungen gemacht. Früher, als ich noch jünger war, glaubte ich, schon der Abwechslung halber, es mit anderen Ländern – wollte sagen: Damen – versuchen zu müssen. Einmal auch mit ‘ner Engländerin. Langweilig! Entsetzlich langweilig! Hauptsache Essen. Ich bin gewohnt, meine Damen auszuführen. Theater, Konzerte – für nichts hatte sie Sinn; dachte nur an das Souper nach dem Theater. Ein andermal hatte ich eine Spanierin. Was mir da passierte! Sie werden’s kaum glauben. Die Dame war eifersüchtig! Stellen Sie sich das vor. Ich ... der Mann mit der Brieftasche ... durfte kein schönes Gesicht ansehen, ohne eine Szene von ihr zu riskieren. Na, dachte ich, versuchen wir’s mal mit einer Deutschen! War auch nicht das Richtige, war
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