Kautschuk
Hauptstraße einbog, war ihm Dr. Fortuyn begegnet. Der war mit ihm ein paar Schritte weiter in den Schatten eines Baumes getreten und hatte ein paar Worte mit ihm gewechselt.
Wittebold fühlte dabei sehr wohl, daß Fortuyn erwartete, irgend etwas von ihm zu hören. Doch er hatte ihm nichts von dem, was er in Berlin gesehen, gesagt. Daß Dr. Fortuyn zwei Tage verreisen wollte, war Wittebold nicht angenehm. Er wäre vielleicht geblieben, wenn er ihm sein Geheimnis preisgegeben hätte, aber das wollte Wittebold auf keinen Fall. —
Fortuyn bestieg den Zug, der nach Düsseldorf ging. Im Laufe des Tages hatte er in der Bauabteilung eine mehrstündige Besprechung mit Kampendonk und den Herren des Baubüros gehabt. Kampendonk hätte Fortuyn gern einen längeren Urlaub gegönnt. Doch der brannte darauf, die vorbereitenden Arbeiten für die Aufnahme der Fabrikation selbst in die Wege zu leiten. Vor allem galt’s ihm, verschiedene Teile der Apparatur mit den Fabrikanten selbst zu besprechen. Denn er war sich bewußt, daß gerade hierbei Theorie und Praxis sich schwer vereinigen ließen, daß es vieler Versuche bedurfte.
Doch die Schwierigkeiten waren noch größer, als er geglaubt hatte. In Gedanken verlängerte er seine Anwesenheit schon um mehrere Tage.
Nachdem er seine Mahlzeit eingenommen hatte, ging er die Rheinpromenade entlang, um hier Erfrischung zu finden. Doch er fand nicht die richtige Ruhe. Seine Gedanken weilten bald bei der letzten Besprechung. Da verhielt er plötzlich den Schritt: an die Brüstung gelehnt stand Johanna Terlinden!
So groß war die gegenseitige Überraschung, daß sie viele Herzschläge lang keine Worte finden konnten. Nur ihre Augen strahlten einander zu – sprachen von dem, was sie erfüllte.
Eine Stunde wohl schon waren sie die lange Rheinpromenade hin und her geschritten. Noch immer zitterte die Wiedersehensfreude in ihnen nach. Über was sie gesprochen, was sie sich erzählt: ... keiner hätte es wohl sagen können, wenn sie jemand danach gefragt hätte. Jeder der beiden war glücklich in dem Gefühl, den anderen zu haben, ihm sein Herz ausschütten zu dürfen.
Während der Beisetzungsfeier von Clemens Terlinden hatten sie nur wenige Worte wechseln können. Desto größer war jetzt ihre Seligkeit über das unerwartete Zusammentreffen. Soviel war in der Zwischenzeit passiert! Beide innerlich einsame Menschen, hatten sie nun jeder den anderen, der alles begriff und mitempfand. Johanna konnte sich nicht genugtun, zu fragen und immer wieder zu fragen nach Fortuyns Sieg. Alle Einzelheiten wollte sie wissen, alle seine Pläne für die Zukunft bis ins Letzte hören. Und er sprach gern davon. Fühlte er doch, daß kein Mensch, auch Kampendonk nicht, so seine Siegesfreude, sein Glück innerlich mit ihm zu teilen vermochte wie Johanna.
Die Sonne ging unter. Noch immer weilten sie an dieser Glücksstätte. Die Nebel vom Strom krochen zu ihnen hinauf. Johanna, im leichten Sommerkleid, vermochte ein Frösteln nicht zu unterdrücken.
Ängstlich besorgt, bot ihr Fortuyn seinen Überwurf. »Verzeih, du Liebe! Du mußt ja todmüde sein. Wie die Zeit verstrichen ist! Komm, Liebste – wir gehen zur Stadt! – Zwei Tage, hatte ich Kampendonk gesagt, würde ich hier bleiben. Ich belüge ihn nicht, wenn ich noch ein paar Tage zugebe. Denn noch ehe ich dich traf, hatte ich schon eingesehen, daß die Zeit zu knapp bemessen war.«
»Wie? Was? Du bleibt länger hier? Und das hast du mir gar nicht gesagt? Ich glaubte, du wärest nur für diesen einen Tag hierhergekommen. Das ist ja herrlich! Ein paar Tage bleibst du hier? Wie freu’ ich mich jetzt schon auf das morgige Wiedersehen!«
Als sie sich getrennt hatten, als sie schon weit auseinander waren, fiel es jedem ein, daß sie nicht über ihre Liebe – über ihre Zukunft – gesprochen hatten.
Wenn im Verlauf des nächsten Vormittags Wittebold im Hauptgebäude am Zimmer Dr. Wolffs vorbeikam, verlangsamte er jedesmal unwillkürlich seine Schritte. Immer wieder drängte es ihn, zu Wolff zu gehen und ihm alle seine Beobachtungen mitzuteilen.
Dieses ständige Auf-dem-Posten-Sein, Belauern, Bewachen, dieses zermürbende Grübeln in den schlaflosen Nächten, dieses Ahnen in seinem Unterbewußtsein, daß die Gegenseite etwas Schlimmes vorbereite, die Angst, seine Kräfte könnten nicht ausreichen, um den Schlag zu parieren, .etwas Fürchterliches könnte passieren ... das alles hatte seine Nerven bis zum Zerreißen gespannt. Aber immer noch hatte er
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