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Kay Scarpetta bittet zu Tisch

Kay Scarpetta bittet zu Tisch

Titel: Kay Scarpetta bittet zu Tisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Scarpetta empfand keinerlei Schuldgefühle, es ihrer Mutter einmal nicht recht zu machen. Im Gegensatz zu ihr hielt ihre Mutter nichts von gesunder Ernährung. Sie fühlte sich davon verletzt und angegriffen. Scarpetta hatte schon früh gelernt, sich zu schützen, Verletzungen abzuschwächen und sich nicht in die Opferrolle drängen zu lassen. Von ihrer Familie ließ sie sich nicht mehr gefallen als nötig. Sie war nun schon fast eine Woche in Miami und hatte gelinde gesagt die Nase gestrichen voll; ihre Geduld war erschöpft, ihre Nerven überreizt. Sie wollte nach Hause.
    »Und wie sieht es mit Frikadellen aus?« beschwerte sich ihre Mutter. »Das kann doch nicht wahr sein: keine Wurst, keinen Schinken oder so etwas?«
    »Heute abend nicht«, antwortete Scarpetta.

5
    Genau in diesem Moment, als Scarpetta viele Meilen weiter südlich die Pasta in das kochende Wasser warf, sah Pete Marino in Richmond nach dem Wetter. Er war dankbar, daß sein Dodge-Lieferwagen unter dem aluminiumüberdachten Carport geschützt war. Sonst wäre er nämlich mittlerweile von einer Schneedecke von mindestens fünf Zentimetern bedeckt gewesen. Diesen nassen Schnee konnte er überhaupt nicht leiden, denn der brachte die Gören aus der Nachbarschaft nur auf die Idee, sein kleines Haus mit Schneebällen zu bewerfen. Ansonsten war das Viertel, das im Süden des James-Flusses stand, kurz hinter der Turnpike Midlothian, eine ruhige Gegend.
    Derlei Angriffe erfolgten bei Dunkelheit und entluden sich in dumpfen Schlägen gegen seine Fensterscheiben, Türen und die Aluminiumverkleidung des Carports. Bis Marino an die Tür geeilt war, hattten die Verdächtigen bereits die Flucht ergriffen und waren in den tiefen Schatten der Bäume oder in diversen Häusern längs der Straße verschwunden. Er war ein erfahrener Polizist, und die Fußspuren im Schnee zu verfolgen wäre für ihn ebenso leicht gewesen, wie einen Vergewaltiger zu verhaften, der sein Portemonnaie am Tatort zurückläßt, oder einen Dieb, der die Angaben aus seinem Führerschein auf der Rückseite des gestohlenen und von ihm eingelösten Schecks hinterläßt. Doch, doch, so etwas kam häufiger vor, als brave Bürger sich vorstellen konnten, aber Kinder in der dunklen kalten Nacht zu verfolgen, womöglich auszurutschen und hinzufallen, das war etwas ganz anderes.
    Marino zündete sich eine Marlboro an und öffnete ein weiteres Bier, während er wartete. Er war bereit, in Mantel und Stiefeln, hatte den Fernseher leise gestellt und lauschte aufmerksam zur Vorderseite des Hauses. Der Schnee fiel in dicken Flocken. Er selbst hatte während seiner Kindheit in New Jersey Schlimmeres a ngestellt, als Leute mit Schneebällen zu bewerfen. Nur war in seinem Fall damals Gewalt immer gerechtfertigt und angemessen gewesen, weil es brutale Kerle und Randalierer in dem Arbeiterviertel gab, in dem er aufgewachsen war. Er hatte nur dann zugeschlagen, wenn er sich wehrte, oder wenn es galt, einen Schwächeren zu beschützen. Nichts dergleichen, davon war Marino überzeugt, konnte die unverschämten, gedankenlosen Taten seiner kleinen Nachbarn rechtfertigen.
    Allerdings berücksichtigte er dabei nicht die vielen Male, als er sie aus seinem Swimmingpool verscheucht oder sie verjagt hatte, wenn sie ohne Erlaubnis in seinem Garten Fußball spielten. Die Tatsache, daß er sie angebrüllt und dem in der Nachbarschaft wohnenden Schnösel vom Naturschutzbund eine Zeitung ins Gesicht geklatscht hatte, hatte ihm eine Menge Feinde eingebracht. Ebenso wie die Geschichte mit Jimmy Simpson, als er mit seinem Privatwagen angehalten und dem Zehnjährigen befohlen hatte, das Bonbonpapier aufzuheben, das dieser gerade auf die Straße geworfen hatte.
    »Du kannst von Glück sagen, daß ich dir keine Geldstrafe aufbrumme«, hatte er zu dem blauäugigen Jungen gesagt.
    »Ich bin doch nicht von zu Hause ausgerissen«, hatte Jimmy entrüstet geantwortet. Ohne Beweise dafür in der Hand zu haben, war sich Marino sicher, daß es sich bei Jimmy Simpson um den Anführer der Bande handelte, und bald, davon war er überzeugt, würde er diesen kleinen Rabauken auffrischer Tat ertappen. Dann würde er mit dem Jungen in die Wohnung seiner alleinerziehenden Mutter marschieren und ihnen etwas über Erziehungsheime und Gefängnisse ins Stammbuch schreiben.
    Der erste Artilleriebeschuß erfolgte Punkt acht Uhr. Schneebälle gingen auf der Vorderseite des Hauses nieder. Einen zweiten Angriff wartete Marino gar nicht erst ab. Sofort war er

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