Kayankaya 4 - Kismet
mächtigen Baus, daß die Welt schon andere Sachen gesehen und überlebt hatte als zwei tote Schutzgeldeintreiber? Jedenfalls verband sich irgendwas mit der Tatsache, daß dieser Bau zu meinem Zuhause gehörte und daß ich in diesem Zuhause einen Freund hatte, bei dem ich übernachten und essen konnte, und daß irgendeine Mafia von sonstwoher selbst schuld war, wenn sie bei uns zu Hause eins auf die Schnauze bekam!
So weit, so lokalpatriotisch. Ein paar Polizisten, die ich kannte, wären überrascht gewesen. Vielleicht hätten sie mich zur Abwechslung mal gesiezt.
Doch in dieser Nacht leuchteten in Frankfurt nicht nur die Chefetagenlichter. Als wir am Bahnhof vorbeifuhren und ich den Kopf wandte, um Slibulsky zu fragen, ob er wisse, ob es um diese Uhrzeit Flüge in den Süden gebe, sah ich am Himmel einen roten Schein. Und zwar ziemlich genau in der Richtung, in der das >Saudade< lag. Im nachhinein sagt man ja manchmal gerne, man hätte irgendwas in einem bestimmten Moment gewußt, obwohl man es eigentlich nur befürchtet hatte. Trotzdem, ich wußte es. Und ich hatte den Eindruck, ich mußte nur den Arm ausstrecken und mit dem Finger hindeuten, und Slibulsky wußte es auch. Jedenfalls machte er den Mund auf und ließ ihn während des Rests des Wegs offen, wobei sein Blick immer starrer wurde. Je näher wir dem >Saudade< kamen, desto verbrannter roch es. Als wir schließlich in die Straße einbogen, an deren einer Ecke seit sieben Jahren die brasilianische Fahne gehangen hatte, flogen uns Rußteilchen entgegen, und Blaulicht kreiste. Die Straße war gesperrt, Schaulustige standen links und rechts, das >Saudade< brannte lichterloh.
Wir blieben mit dem Wagen vor der Absperrung stehen und sahen zu, wie die Feuerwehrmänner zwischen Leitern, Schläuchen und Pumpen hin und her rannten. Aus mehreren Spritzen schoß Wasser in die Flammen. Das Haus, ein Altbau mit Dielenböden und Fensterrahmen aus Holz, hatte vier Stockwerke, das Feuer war bis ins dritte vorgedrungen. Währenddessen wurden die Wohnhäuser links und rechts geräumt, und ein Haufen von verschlafenen, in Decken gehüllten Kindern, ungekämmten Männern in Bademänteln und Frauen mit Handtaschen und Beuteln quoll auf die Straße. Eine Nutte stritt mit ihrem Freier um die Bezahlung der abgebrochenen Nummer, und ein Betrunkener bot den vorbeihastenden Feuerwehrmännern Bierdosen aus einer Tüte an, als betreibe er eine Verpflegungsstation für Marathonrennen.
Als die Flammen den vierten Stock erreichten, wandte Slibulsky den Kopf. »Und nun?«
Ich glaube, ich wollte mit den Schultern zucken, schaffte es aber nur, sie noch mehr hängen zu lassen. Vor fünf Stunden waren wir losgefahren, hatten an einem Kiosk noch schnell einen Schnaps getrunken, uns bei Romario in den Schrank gequetscht und waren alles in allem ziemlich gelassener Stimmung gewesen. Ein blöder Job, na klar, aber keiner, den man nicht mit einer Portion schlechter Laune und ein paar mittelmäßigen Scherzen hinter sich bringen konnte. Was waren schon zwei Schutzgeldeintreiber, die den Mund nicht aufbekamen … Komm Slibulsky, die erledigen wir doch mit links, denen pusten wir nur mal kräftig in die Fresse, und Romario hat seine Ruhe…
».. .Meinst du, er ist rausgekommen?«
Slibulsky hob die Augenbrauen. »So besoffen, wie er war?«
Ich steckte mir eine Zigarette an. Meine Hände zitterten. »Ich glaub, mir wird schlecht.«
»Ich hab dir gesagt, die machen keine halben Sachen.«
»Wie konnten die so schnell erfahren, was passiert ist?«
»Vielleicht war noch ‘n dritter im Auto.«
Mein Mund ging auf, und ich glotzte Slibulsky an, als hätte er Tauben aus der Hand geschüttelt oder so was… Na klar! Warum hatten wir uns das nicht früher überlegt? Und wieso war ich überhaupt nicht drauf gekommen?
»Sag mal, stellen wir uns vielleicht ziemlich doof an?«
»Mann, wir hatten die Arme voller Leichen! Und wenn’s einen dritten Mann gab, wär’s eh nicht zu ändern gewesen.«
»Aber wir hätten Romario mitnehmen können.«
»Wir hätten den langen Scheißer die sechs Mille zahlen lassen sollen!«
Das hatte Slibulsky von Anfang an gemeint. Schutzgeld an die Mafia sei nichts anderes als Steuern, nur hätte man mehr davon. Er kannte sich aus. In seiner Zeit als Bordellrausschmeißer war er nebenbei dafür zuständig gewesen, den Huren die täglichen paar hundert Mark für eine Rund-um-die-Uhr-Bewachung samt verschimmeltem Zimmerloch abzuknöpfen. Davon, und wie er manchmal dabei hatte
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