Kayankaya 4 - Kismet
vorgehen müssen, erzählte er nicht gern.
»… Aber hat er nicht«, fuhr Slibulsky fort, »und nun isses eben so gekommen. Er wußte ja wohl, was es heißen kann, sich mit solchen Typen anzulegen. Hier gibt’s jedenfalls nichts mehr zu tun, und ich finde, wir fahren jetzt nach Hause.«
»Aber der, der den Brand gelegt hat, der ist doch noch hier. Der läßt sich das Spektakel doch nicht entgehen…«
»Na und? Glaubst du, er steht da irgendwo mit ‘nem großen Feuerzeug rum? Komm, für heute reicht’s.«
Slibulsky ließ den Wagen an und wendete. Ich protestierte nicht. Es reichte wirklich.
Zwei Ecken weiter verschwand der Feuerschein hinter Häusern und Leuchtreklamen. Als wir über die Brücke nach Sachsenhausen fuhren, färbte sich der Himmel im Osten blau. Ich dachte an Romarios Einzimmerwohnung im Nordend. Eine Fototapete mit brasilianischem Palmenstrand, davor ein Bett mit durchgelegener Matratze und grauen, fleckigen Laken. Slibulsky lag falsch, wenn er glaubte, Romario hätte die sechstausend Mark so ohne weiteres bezahlen können. Er hatte sein ganzes Geld ins >Saudade< gesteckt, >seine Geliebte<. Doch außer Bauern und Kleinstädtern, die einen Wochenendbesuch im Frankfurter Puffviertel mit einem exotischen Abendessen beschließen wollten, Schnorrern wie mir und einer Handvoll brasilianischer Transvestiten hatte kaum einer Lust, Zeuge dieser Liebe zu sein. Von Montag bis Donnerstag war der Laden leer. Wenn Romario also einen >Festtagssuppentopf< von der Größe einer Regentonne besessen und sich gegen dessen Verwendung als Leichentransportgefäß gewehrt hatte, dann war das nur ein verzweifeltes Schauspiel gewesen. Nie hatte es Festtage im >Saudade< gegeben, geschweige denn genug Kundschaft, um zig Liter Suppe loszuwerden. Und sowieso gehörten die Gestalten, die sich ins >Saudade< verliefen, nicht zu denen, die ihre Aufnahmekapazitäten für Flüssigkeit an Suppe verschwendeten. Ich fragte mich, wer die Tür zu Romanos Wohnung aufbrechen würde, und hoffte, daß er vor kurzem das Bett frisch bezogen hatte.
Nachdem wir aus Slibulskys Garage einen Haufen reparaturbedürftiger Eiswagen auf den Hof geschoben und den bmw untergestellt hatten, gingen wir hinauf in die Wohnung. Slibulsky zog den Kasten Bier aus dem Kühlschrank, und wir setzten uns mit ihm ins Wohnzimmer ans Fenster. Nach Essen, geschweige denn Handkäs - ein gelber Stinker, der bei entsprechender Phantasiebereitschaft auch wie ein in Leichenhallen gewonnener, gewässerter und in Gummistiefeln langjährig gelagerter Hornhautklumpen wirken konnte - war uns beiden nicht mehr. Draußen wurde es hell. Wir tranken und sahen zu, wie die ersten Sonnenstrahlen über die Dächer fielen. Wir waren zu erschöpft, um zu sprechen, und zu aufgewühlt, um zu schlafen. Erst als uns die Sonne ins Gesicht schien und Schulkindergejohle von der Straße heraufschallte, stand Slibulsky auf, warf mir eine Decke aufs Sofa und wünschte skeptisch: »Gute Nacht.« Ich wartete die Wirkung eines weiteren Biers ab, stemmte mich dann ebenfalls aus dem Stuhl, wankte durchs Zimmer und fiel aufs Sofa. Ich überlegte noch, was Gina davon halten würde, wenn sie mich hier mit Schuhen auf ihren leinenbezogenen Polstern vorfand, als ich die Augen nicht mehr aufbekam. Es dauerte etwa fünf Sekunden, bis ich schlief. Etwa zehn, bis mir ein Alarmgeräusch den Kopf sprengte. Düdelüdelidelü, düdelüdelidelü, düdelüdelidelü … Weitere zehn Sekunden, bis ich kapierte, daß in meiner Brusttasche das Mobiltelefon des Schutzgelderpressers klingelte. Ich drückte irgendwelche Tasten, hoffte, die richtige sei dabei, und räusperte mich. Die richtige war dabei, und ich hörte eine Stimme. Im selben Augenblick war alles, was ich mir in den letzten Stunden über die Herkunft der Erpresser zusammenzureimen versucht hatte, vom Tisch.
»Ei, wo seider dann? Isch hock hier rum wie blöd un kann net abschließe! Liebe Leut, isch möscht ins Bett! Seider in die Disco, oddä was?! Wenn des der Chef erfährt!… Na, was is dann…? Isch hör nix…«
Ich versuchte es noch mal mit Räuspern.
»Soll des jetzt witzisch sein? Sach mer, wo ihr seid, un isch sach dir, wie lang ihr braucht, um haam zu komme. Un wenner des net packt, schließ isch ab un geh ins Bett, is des klar?!«
».. .Ja.«
»Was, ja?!«
».. .Ja, des is klar.«
Ich wartete darauf, daß er weiter meckerte und mir im besten Fall einen Hinweis gab, wo das war, wohin man heimzukommen hatte. Aber irgendwas mußte an
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