Kayankaya 4 - Kismet
für nötig, aber mein Privatleben besprach er offenbar ganz gerne mit ihr. Ich stellte mir vor, wie sie sich abends bei Handkäs und Schnittchen angenehm besorgt über mein Solodasein unterhielten: Der Arme, immer so alleine in seiner Wohnung - Herzchen, gibst du mir mal die Butter - Das drückt aufs Gemüt - Er ist aber auch nicht der Einfachste, ich meine fürs Zusammenleben… - Laß nur stehen, ich mach den Abwasch - Ach, Gina…
Als wir wenig später in Ginas Fiat Richtung Innenstadt fuhren, sagte sie: »Übrigens, apropos riechen…«
»Jaja.« Ich winkte ab. Schon beim Einsteigen in das kleine enge Auto war mir klargeworden, daß ich an diesem Mittag der letzte war, der das Thema Gerüche anschneiden sollte.
Gina brachte mich an meiner Wohnung vorbei, gab mir einen Kuß auf die Wange und lud mich für irgendwann demnächst zum Essen ein. Als der Fiat um die Ecke verschwunden war, sah ich mir meine Fenster im ersten Stock an. Eins stand offen, und ich fragte mich, ob ich es geöffnet hatte.
Im Erdgeschoß des schmutzigweißen Sechziger-Jahre-Wohnblocks befand sich ein Gemüseladen, dessen Besitzer nebenbei auch der Hausmeister war. Vor ein paar Jahren hatte er mal für die Republikaner kandidiert und eine Weile alles drangesetzt, mich aus der Wohnung zu vertreiben. Damals mußte ich nur morgens um vier die Toilettenspülung ziehen, um von ihm wegen Ruhestörung angezeigt zu werden. Doch dann kam die Wiedervereinigung, und nach einem knapp zweimonatigen Freudentaumel, der in erster Linie daraus bestand, jeden zweiten Abend besoffen die Nationalhymne zu grölen und mich mit Anzeigen einzudecken wie noch nie, verschoben sich plötzlich seine Feindbilder. Auf einmal gab es die Ostler. Die sah der Gemüsehändler zwar nie woanders als im Fernsehen, trotzdem begann er sie, aus welchen Gründen auch immer, eifrig zu hassen. Unvergessen der Morgen, an dem er aus seinem Laden auf mich zugeschossen kam, einen halbverfaulten Apfel in der Hand, und rief: »Sehen Sie sich das an! Gerade eingetroffen! Ostware! Bah! Und die fressen sich mit meinen Solidaritätsabgaben dick und fett!« Völlig verdutzt darüber, zum ersten Mal nicht Grund seiner Meckereien zu sein, sah ich tatsächlich den Apfel an und sagte wie in Trance: »Na, so was!« Woraufhin er keine Zeit verlor, unsere Beziehung endgültig in neue Bahnen zu lenken, sich verschwörerisch nickend vorbeugte und warnte: »Da werden noch einige Überraschungen auf uns zukommen! Das schwöre ich Ihnen! Noch einige!«
Er sagte tatsächlich >auf uns Jedenfalls grüßten wir uns seit diesem Morgen, und als wenig später seine Frau starb und er anfing, sich abends russische Nutten in die Wohnung zu holen, wurde sein Umgang mit mir fast herzlich. Zum großen Teil sicher aus Scham, weil ich durch die dünne Neubaudecke regelmäßig Zeuge seiner D-Mark-Romanzen wurde. Darüber hinaus, glaubte ich, führte seine grobe Weltsicht und die Tatsache, daß die Türkei und Georgien - also für uns Kinder des kalten Krieges nach wie vor: Rußland - eine gemeinsame Grenze hatten, bei ihm zu dem diffusen Gefühl, quasi bei mir eingeheiratet zu haben.
Wie auch immer, an diesem Mittag betrat ich den Gemüseladen und rief ein fröhliches »Hallo!«. »Ach… hallo!«
Schnell legte er die Zeitung weg. Wahrscheinlich hatte er Nuttenanzeigen studiert. Es war Freitag, morgen würde es wieder soweit sein. Inzwischen achtete ich darauf, samstags abends nicht zu früh nach Hause zu kommen. In der Regel besuchte ich Deborah.
Klein und dürr kam er hinter der Theke vor, strich seinen dünnen, gelben Scheitel zurecht und trat mit dem inzwischen üblichen, interessiert irgendwas an mir oder hinter mir musternden Blick auf mich zu. Soviel sich seit dem Ostler-Obst-Morgen auch geändert hatte, in die Augen sahen wir uns nie. Sie waren sozusagen, ob wir wollten oder nicht, die Schaufenster zu unseren Waffenkammern,
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