Kayankaya 4 - Kismet
interessiert, hol ich noch heute nacht deinen Onkel aus’m Bett, und du kannst schon mal anfangen, dir einen Ort fürs Auslandsstudium auszusuchen.«
Es brauchte noch einiges Geschlucke, Auf-der-Stelle-Getrete und Zu-Boden-Gesehe, aber schließlich legte er mit gesenktem Kopf los. Er entpuppte sich als neugieriges, helles Kerlchen, und eine halbe Stunde später war sehr viel mehr beantwortet, als ich hatte fragen wollen.
Der >Adria-Grill< funktionierte als Anlaufstelle sowohl für kroatische Nationalisten, die gerne zusammen einen hoben, als auch für deutsche Nazi- und Ustaschafans, die ihr Heil als Söldner im Bosnienkrieg suchten. Zwar war der Krieg offiziell beendet, doch gab es weiterhin paramilitärische Verbände auf allen Seiten, die es nach wie vor schätzten, sich für ein Großkroatien, Großbosnien oder Großserbien - und für ein ordentliches Gehalt - gegenseitig abzuknallen. Die Organisation der Söldnerprüfung und -verschickung lag in den Händen eines großen, dünnen, stets äußerst schick gekleideten Mannes, dessen Namen nie fiel. Er fuhr dreimal die Woche in einem Mercedes vor und gab ein bis zwei Stunden lang im Hinterzimmer des >Adria-Grill< Audienzen. Heute abend war er nicht aufgetaucht, und Zvonko - so hieß der Junge - hatte mitbekommen, wie sein Onkel nach meinem Rausschmiß mehrere Male zum Telefon gegangen war, um den Mann anzurufen - ohne Erfolg.
»Ist er letzten Donnerstag dagewesen?«
»Donnerstag… Ja, klar, das war der Abend, an dem die Bleichgesichter nicht kamen. So nenn ich sie für mich. Sie sind gepudert und tragen blonde Perücken. Vor zwei Wochen tauchten sie das erste Mal auf, und am Anfang dachte ich, es wären irgendwelche Verrückten, eine Sekte oder so. Was weiß ich: Jesus ist blond und liebt Kroatien. Sie glauben nicht, was da alles für durchgeknallte Typen reinkommen. Manchmal denke ich, Jugoslawien und der Krieg sind der Lottogewinn für sämtliche Irren, die irgendein Ding am Laufen haben, womit sie hier nicht landen können. Ein Vorstellungsgespräch hab ich mal belauscht. Der Mann erzählte die ganze Zeit nur davon, daß er seine Frau nicht mehr aushält. Na ja, dann ist er runter, und wahrscheinlich hat er als erstes zehn Bosnierinnen zwischen dreißig und vierzig erschossen. Dann hat er noch gesagt, Kroatien sei so ein tolles Land, wegen Literatur und Musik. Also, manchmal ist es schon auch witzig.«
»Wie ging das mit den Bleichgesichtern weiter?«
»Sie kamen dann fast jeden Abend. Wie der große Mann. Vor einer Woche habe ich zum ersten Mal gesehen, wie sie ihm Geld übergaben. Seitdem habe ich drauf geachtet, und sie bringen immer was. Wenn der große Mann nicht da ist, geben sie’s meinem Onkel. Aber er ist nur der Aufbewahrer. Er ist überhaupt immer nur >nur<. Er kehrt den Dicken raus, aber eigentlich…«
Ich ließ ihn ein bißchen über seinen Onkel meckern, dann fragte ich, ob er wisse, woher das Geld stamme. Er wußte es, und nicht nur das. Die >Bleichgesichter< waren zum größten Teil Flüchtlinge aus Bosnien, die zur Mitarbeit erpreßt wurden. Weigerten sie sich, drohte man, ihre in Bosnien zurückgebliebenen Verwandten oder Freunde umzubringen. Das erledigten dann, wie Zvonko es ausdrückte, >die deutschen Freunde kroatischer Literatur<. Einmal habe er belauscht, wie der große Mann einem weinenden Bleichgesicht erklärte, man sei nach seinem widerspenstigen Verhalten gezwungen gewesen, etwas zu unternehmen.
»… Mein Kroatisch ist nicht perfekt, aber so ungefähr hat er dann gesagt: Und denk dran, das war nur dein Bruder, du hast noch Frau und Kinder unten. Ich erwarte, daß du dich ab jetzt hundertprozentig für uns einsetzt.«
Ich dachte an die Brutalität, mit der die Schutzgeldeintreiber vorgingen, und kapierte, daß jemand wie Romario, wenn er nicht zahlte, ihren Familien quasi über Bande die Knarre an den Kopf hielt.
»Worüber sich der große Mann und die anderen, wenn sie später beim Schnaps zusammensitzen, besonders amüsieren, ist, daß die Bleichgesichter natürlich aus allen sogenannten Bevölkerungsgruppen stammen: Serben, Moslems, Kroaten, Zigeuner. Einer ihrer liebsten Sprüche ist: >Wir schicken Jugoslawien für uns auf den Strich.<«
»Wie können die so genau wissen, welcher Flüchtling wo Verwandte hat?«
»Sie haben Listen, keine Ahnung, woher. Jedenfalls ist der große Mann in der Organisation sicher nur ein kleiner Mann. Die Chefs sitzen in Kroatien, und dann gibt es noch so einen aufgepumpten Deutschen.
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