Kayankaya 4 - Kismet
kaum positiv ausgewirkt. Was bedeutete, daß die Chefs der Armee der Vernunft sich weit genug oben im kroatischen Machtgefüge befanden, daß sich ihre persönlichen Interessen mit den nationalen einigermaßen deckten. Falls ein Teil der Kredite nicht ohnehin direkt in ihre Taschen floß. Soweit ich wußte, stand der kroatische Präsident nicht gerade im Ruf, ein unbeugsamer Kämpfer gegen Korruption und mafiose Kumpelschaften zu sein. Auf so einen Ruf legte er wohl auch keinen Wert. Ich hatte mal ein Bild seiner Jacht gesehen. Zusammen mit der Uniform auf dem Foto gestern abend ergab das einen Eindruck, wie wenn die Frankfurter Oberbürgermeisterin ihren Geschäften in einem mit Champagner gefüllten Swimmingpool nachgehen würde.
Der Besuch des Innenministers war für nächsten Samstag angesagt. Das ließ mir noch drei Tage Zeit. Ich zahlte und ging nach Hause. Von dort rief ich einen Bekannten an, der sich mit Flüchtlingsheimen auskannte. Er nannte mir eins, in dem vorwiegend Leute aus Bosnien untergebracht waren.
Es hatte wieder angefangen zu regnen, und vor der ehemaligen Jugendherberge lag ein Platz aus Matsch und Pfützen. Ich hüpfte im Zickzack zur Eingangstür, trat in einen dunklen, nach Essen und Desinfektionsmitteln riechenden Flur, las eine Reihe Schilder, die von der Decke hingen - Speisesaals >Duschraum<, >Krankenstation< -, und folgte dem Pfeil mit der Aufschrift >Sekretariat<. An den Wänden links und rechts hingen Plakate der evangelischen Kirche, auf denen schwarze und weiße Jugendliche unter grellfarbenen Parolen wie Ey, Nächstenliebe ist spitze! oder Ich steh auf Völkervielfalt! durch Straßen, Treppenhäuser und Wiesen hüpften. Dazwischen klebten graue Zettel mit den Anweisungen, in den Fluren nicht zu rauchen, nicht zu lärmen, sich nicht zu versammeln, nicht zu essen und nicht zu trinken. Die Anweisungen wurden, soviel ich mitbekam, hundertprozentig erfüllt. Niemand begegnete mir, und nur entferntes Kinderkreischen und Geschirrklappern deuteten darauf hin, daß der Kasten bewohnt war.
Die Sekretariatstür befand sich am Ende des immer dunkler werdenden Flurs. Ich klopfte und glaubte, durch das Sperrholz ein paar harsche, befehlende Töne zu vernehmen, bis ein munteres »Ja-ha!« erklang. Als ich die Tür aufdrückte, strahlte mir grelles Licht entgegen. Ehe ich irgendwas erkennen konnte, rief jemand: »Hereinspaziert, nur hereinspaziert!«, als käme man zum Dosenwerfen.
Ich schloß die Tür hinter mir und blinzelte gegen eine Reihe Neonröhren. Als sich meine Augen an das Licht gewöhnten, sah ich das übliche schäbige, vor Jahrzehnten aus öffentlicher Hand bezahlte graugrüne Bürogerümpel, die übliche Privatsphäre, bestehend aus an die Wand gepinnten Ferienpostkarten und heiteren Zeitungsausschnitten, und den üblichen Fotokalender mit Landschaft. Hinter dem Schreibtisch saß eine in diesem Rahmen nicht ganz so übliche, etwa fünfundvierzigjährige Frau, auf einem Stuhl davor ein etwa vierzehnjähriges Mädchen.
Die Frau war dunkelbraungebrannt, durchtrainiert bis zur maximalen Fettfreiheit und, so wie sie mich mit zwei unglaublich weißen, makellosen Zahnreihen anlächelte, anscheinend bester Laune. Sie trug eine kurzärmelige, die muskulösen Arme betonende, bunte, mit Dschungeltieren bedruckte Bluse, Ohrringe mit Charlie-Chaplin-Köpfen als Anhänger, eine Kette, an der ein kleiner Buddha baumelte, und einen langen, dicken, blonden Zopf, den sie neckisch über die Schulter nach vorne gelegt hatte. Vermutlich hielt sie das letzte Wort, was ihr Betätigungsfeld im Leben betraf, für noch nicht gesprochen. Sie paßte so gut in dieses graugrüne Flüchtlingsheimsekretariat wie eine Bowlingparty.
Dagegen sah das Mädchen aus, als entstamme sie einer Spendenreklame fürs Rote Kreuz. Ein dünner, ausgemergelter Körper in verschlissenen Jeans und dreckigem T-Shirt, Arme, die mit Kratzern und blauen Flecken überzogen waren, und ein Kinn, auf dem eine dicke Blutkruste prangte. Aus dunklen, für ihr Alter beeindruckend schwarz geränderten Augen musterte sie mich skeptisch. Ihr Blick schien zu fragen, ob ich ihretwegen hier sei und, wenn ja, ob ich was Schlechtes oder was sehr Schlechtes mit ihr vorhätte. Vielleicht war sie auch älter als vierzehn, bei ihrem Zustand ließ sich das schwer schätzen. Und überhaupt warf ich schon seit längerer Zeit fast alle Menschen von Geschlechtsreife bis fünfundzwanzig in einen Topf. Manchmal stand Kind auf dem Topf, manchmal was
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