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Kaylin und das Geheimnis des Turms

Kaylin und das Geheimnis des Turms

Titel: Kaylin und das Geheimnis des Turms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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Knien die Kraft, und hätte der Lord der grünen Auen sie nicht mit einem wahrhaften Todesgriff festgehalten, sie wäre gefallen.
    Die Barrani hatten eine Mutter, sie hatten keine Hebammen. Sie hatten nicht einmal eine Vorstellung von Hebammen, und wieso sollten sie auch?
    Aber
diese
Geburt … ah, diese war schwierig gewesen, sie war schiefgegangen. Sie begriff, als sie zusah, wie er den Namen vollendete und seine Kraft zu verebben schien, dass sie letztlich nicht als Falke gekommen war, nicht als Heilerin, sondern als Hebamme. Was die Lordgemahlin nicht verstanden hatte – als Mutter –, konnte Kaylin, als Hebamme, jetzt sehen. Die Lordgemahlin hatte nicht die Gesamtheit begriffen, sondern nur einen Teil, den Teil, den sie begreifen konnte, den Teil, den sie tragen konnte. Sie war damals jung gewesen. Zu jung. Sie hatte gewählt, was sie tragen konnte.
    Und Kaylin war letztendlich gekommen, um ihr zu helfen. Um den
Rest
zu tragen. Sie hielt den großen, letzten Strich nach oben, auch wenn ihre Hand gefesselt war, und mit ihr kamen seine. Sie setzte sie an die linke Seite des Symbols, das unvollständig zwischen ihnen lag. Ihr war klar, dass auch das unvollständige Symbol eine Bedeutung hatte. Wie konnte es nicht? Ohne wäre der Lord der grünen Auen niemals erwacht.
    Aber es war nicht die vollständige Bedeutung, die die Quelle für ihn bestimmt hatte. Und sie legte die harte Kurve des letzten Striches an, um sie zu vervollständigen, zu verändern,
mehr
aus ihr zu machen und nicht weniger, als sie gewesen war.
    Der Strich berührte die Linien, die den Rest seines Namens bildeten, und in dem Augenblick begann es zu vibrieren, zu zittern, sich selbst und den Rest zu verändern. Dann
hörte
sie es wehklagen und versuchte nicht zuzuhören, als es
seinen
gesamten Namen aussprach.
    Und er brüllte gleichzeitig, brüllte, was dort geschrieben stand. Sie konnte auch das fühlen. Er schluckte herunter, was er am Rand seiner Fähigkeit, gegen die Dunkelheit zu kämpfen, geboten hatte, und damit auch den letzten Strich.
    Manche Hebammen hielten das Weinen eines Neugeborenen für ein Zeichen von Gesundheit. Sie unterschieden nicht zwischen Weinen und Schreien, weil es bei Säuglingen kaum einen Unterschied gab.
    Dieser Trost blieb ihr nicht. Er
schrie
, mit einer Stimme, die die Hohen Hallen selbst erbeben ließ. Die Stein spaltete. Die Steinmetzarbeiten zerspringen ließ und Scherben in die Unterseite von Kaylins nackten Füßen trieb. Sie blutete wieder, aber er hielt sie aufrecht und zitterte jetzt mit der Kraft seines neuen Namens, seines
ganzen
Namens.
    Als die Stille kam, öffnete sie ihre Augen. Sie hatte nicht gemerkt, dass sie geschlossen gewesen waren. Er stand im Kreis und hielt sie an ihrem Arm aufrecht. Sie baumelte daran und sah fasziniert zu, wie die Runen, die den Kreis umgaben, verloschen. Und in der Ferne hörte sie ein wütendes Brüllen, das ebenfalls die Hallen erschütterte und Stein zerbersten ließ. Es war kein Gespräch, an dem sie teilhaben wollte, aber sie hatte ihre Wahl getroffen, und sie würde damit leben. Hoffte sie.
    Er trat aus dem Kreis und hielt sie dabei immer noch fest. Im düsteren Licht des Raumes konnte sie die Farbe seiner Augen nicht erkennen und wollte doch mehr als alles andere wissen, welche es war. Alles außer schwarz, betete sie. Alles, nur nicht das.
    Er war jedoch nicht mehr unsterbend; der Makel seiner Bemühung, auf diese bestimmte Art seiner Existenz ein Ende zu bereiten, war von ihm gewichen.
    Er schritt über die Risse im Boden und hielt sie dabei immer noch fest. Als sie die Tür erreichten, flog sie weit auf, und dieses Mal splitterte sie. Der Gang auf der anderen Seite des Torbogens war wie ein anderes Land, und er übertrat die Grenze. Erst dann stellte er sie ab. Sie jaulte vor Schmerz kurz auf und tanzte auf einem Fuß, während sie versuchte, die Steinscherben zu entfernen.
    Er machte eine Handbewegung, und sie flogen heraus und nahmen ihr Blut mit sich.
    Er war, und war auch nicht, der Mann, den sie in ihrem Traum gesehen hatte. Doch seine Augen … seine Augen waren blau. Das Blau eines Kriegers, dachte sie. Oder hoffte.
    “
Leoswuld”
, sagte er zu ihr. Er trug Licht, jedenfalls sah es so aus, und sie erinnerte sich, dass er auch beim ersten Mal, als sie ihn gesehen hatte, Licht getragen hatte. Das Licht veränderte sich, schrumpfte und verlosch, bis er eine Rüstung trug und einen Umhang, der waldgrün war. Vertraut. Er zog seine Kapuze über seinen Kopf,

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