Kaylin und das Geheimnis des Turms
waren verwundet, und der Lady würde eine Narbe an der Stirn bleiben, aber sie waren ungebeugt und nicht abgeschreckt.
Sie kämpften letztendlich gegen einen Mann. Einen Mann, der aus Obsidian geschaffen schien und der in Gesicht und Gestalt dem Lord der grünen Auen glich. Ihm fehlte nur die Farbe – und das Leben –, und Letzteres nahm er sich. Aber was er nahm, nährte ihn nicht lange.
Der Lord der grünen Auen blieb dort stehen, dann hob er sein Schwert und hielt es mit der Spitze in die Mitte gerichtet. “Geh zurück!”, brüllte er.
Und die Kreatur drehte sich um. Kaylin konnte sehen, dass sie von Schwertern verwundet war, konnte auch sehen, wie diese Wunden sich schlossen, als wären sie nichts weiter. Es blutete nicht, dieses Schattenwesen, und es starb auch nicht. Wie könnte es? Man musste leben, um zu sterben.
Wie eine Person blickten alle drei auf, als sie die Stimme des Lord der grünen Auen vernahmen. Schwester, Bruder, Vater.
“Geh zurück”, sagte der Lord der grünen Auen zu seinem Schattenzwilling. “Die Hohen Hallen sind dir verwehrt. Der Abgrund ist deine Heimat, deine einzige Heimat.
Geh zurück
.”
“
Ich habe deinen Namen”
, sagte die Dunkelheit.
Und der Lord der grünen Auen
lachte
. Überall um Kaylin herum – und zugegeben, das war nicht sehr weit – wurde es still. Sein Lachen war wild und tief, wie der Klang von Hörnern. Es war kein Trotz, keine Freude, sondern eine Mischung aus beidem.
“Du könntest meinen Namen nicht halten”, sagte der Lord der grünen Auen und hob sein Schwert. “Nicht den ganzen. Und was du hältst, kannst du nicht gegen mich benutzen. Du kannst es gerne versuchen.” Er brachte sein Schwert hinab und nach vorn, und Schatten verschluckten die Klinge. Der wilde Stoß versetzte den Lord der grünen Auen ins Herz der Dunkelheit, und so standen sie, durch das Schwert verbunden, einen Augenblick da.
Dann trat der Lord des Barranihofes vor und stieß seine Klinge der Kreatur in den Rücken.
Die Dunkelheit begann sich zu verzerren. Nicht zu verschwinden, wie Kaylin es gehofft hatte, und nicht zu schmelzen, aber sie verlor die Form, die sie angenommen hatte, die Form der Arme, die feinen Züge von Gesicht und Kiefer, die hohen Wangenknochen und den Schwall ebenholzschwarzer Haare. Stattdessen wuchsen andere Dinge, uralte Dinge, die nur im Abgrund unter den Hohen Hallen existierten.
Während es versuchte, Gestalt anzunehmen – irgendeine Gestalt –, streckte der Lord des Barranihofes seine Hand aus und berührte seinen ältesten Sohn. Das Licht, das ihn ummalte, wurde heller, bis Kaylin es kaum noch ertragen konnte, ihn anzusehen. Sie konnte sich aber auch nicht abwenden und fand sich damit ab, dass als einziger Ausweg blieb, blind zu werden.
Aber diese Blindheit konnte sein Lächeln nicht dämpfen und nicht verstecken, sie sah es deutlich. Er flüsterte ein Wort, ein langes Wort, und Kaylin konnte seine Umrisse hören. Begriff es als Namen, und mehr als einen Namen. Es war eine Pflicht und eine Last, die kaum zu ertragen war.
Die sie selbst sicherlich nicht ertragen könnte.
Der Lord der grünen Auen nahm ihn an, und mit ihm kam das Licht, erstrahlte zwischen ihnen und löschte auf seinem seltsamen Weg den Spross der alten, toten Götter aus. Es legte sich um den Lord der grünen Auen wie ein Umhang, und sie konnte die Textur erkennen – denn irgendwie hatte es eine. Felsen, glatt und abgeschliffen, alt und neu, rot, schwarz und blasser Alabaster, marmoriert, glitzernd und matt, die die Hohen Hallen formten. Die Rüstung der ganzen Welt.
Der Schatten löste sich auf, breitete sich aber nicht aus. Er schien in die Steine zu sinken wie eine Flüssigkeit. Sein einziger Weg führte nach unten.
Kaylin wischte sich die Augen, blickte zu Vater und Sohn und dann, hinter ihnen, auf Bruder und Schwester, die jetzt warteten. Der Lord der Westmarsche bewegte sich zuerst, auch wenn er langsamer war. Die Lady, leichter und schneller, stieß ihn zur Seite und warf ihn in ihrer Eile, zu ihrem Bruder zu gelangen, fast um. Sie schlang ihre Arme um ihn, wie Kaylin es noch nie bei einem Barrani, egal welchen Geschlechts und welchen Ranges, gesehen hatte, und ihr blasses Haar vermischte sich mit seinem Umhang und dem schützenden Wall aus Schwarz.
Jemand berührte Kaylins Schulter, und sie zuckte zusammen und drehte sich auf der Stelle um.
Severn blutete an der Lippe und der Seite, doch sein Lächeln war verbissen. “Du hast es geschafft”, sagte er.
Sie
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