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Kaylin und das Geheimnis des Turms

Kaylin und das Geheimnis des Turms

Titel: Kaylin und das Geheimnis des Turms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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Befehl. Es konnte keiner sein.
    Aber die Dunkelheit hörte ihn, und in der Ferne ertönte ein Lachen, letztendlich viel verstörender als das Geräusch der Kreatur, die Andellen den Erstgeborenen genannt hatte. Sie kam spät. Sie kam
zu
spät. Das Bellen der Wilden wurde lauter.
    Und mit dem Bellen vermischte sich, endlich, das Geräusch von Hörnern. Der Kriegsruf der Barrani. Die Lady stand noch den Bruchteil einer Sekunde an ihrer Seite, dann schrie sie auf und rannte zur Tür.
    Kaylin blieb wie gebannt stehen. Hätte sie rennen wollen, sich dem Kampf
anschließen
– und sie zweifelte nicht daran, dass die Lady genau das vorhatte –, wäre sie dazu nicht in der Lage gewesen.
    Denn genau wie sie den Namen des Lords der Westmarsche gebraucht hatte, um die seltsame Welt wieder zu verlassen, die sie betreten musste, um ihn zu heilen,
brauchte
sie den Namen des Lords der grünen Auen. Sie war nicht im Herzen eines Baumwaldes gefangen, dieser Raum war
echt
. Aber die Falle war die gleiche; der Preis ihres Versagens höher.
    Edles Versagen. Stolzes Versagen.
    Und sie würde sich nicht damit zufriedengeben, ehe ihr keine andere Wahl mehr blieb.
    Sie sagte wieder:
Gebt mir Euren Namen
.
    Und die Dunkelheit sagte ihr, dass der Lord der grünen Auen ihn nicht länger
hatte
.
    Sein Gesicht war verzerrt vor Hunger und Schmerz und – ja – Erniedrigung. Er kämpfte. Sie konnte das Andere in ihm spüren. Es war die Quelle der Stimme. Aber die Dunkelheit log, das wusste sie. Sie betete – was wegen ihrer Haltung gegenüber den Göttern blöd war, aber vollkommen menschlich –, dass der Lord der grünen Auen es genauso deutlich wusste.
    Er wand sich.
    Und sie streckte ihre rechte Hand aus und schlug ihm ins Gesicht. Das war hart, ja, aber auch
echt
. Es war keine Geisterstimme darin, keine verdammten Barraniworte, nichts, das nicht Kaylin war. Sie wollte seine Aufmerksamkeit.
    Die bekam sie. Aber um sie zurückzuschlagen, musste er ihre Hand loslassen. Und da merkte sie, dass er es nicht konnte. Sie waren an seinen beiden Händen und ihrer linken aneinandergekettet. Und hinter ihnen hatte
Leoswuld
begonnen. Oder geendet.
    Das war nicht auszudenken.
    Aber sie hatte seine Aufmerksamkeit und konnte fast einen Anflug von Blau in diesen Augen erkennen, wie kleine Risse im Ebenholz. Es hätte das Mitternachtsblau von Wut oder Angst sein können. Sie nahm an, Wut. “Ihr
habt
Euren Namen! Er gehört immer noch Euch. Ja, man kann Euch dadurch kontrollieren. Ja, man kann Euch zwingen, etwas zu tun, ohne dass Euch
die Wahl bleibt
– aber es ist
Euer
Name. Und auch wenn Ihr zur Hölle gehen könnt, ich brauche ihn!”
    Doch er hatte nicht die Kraft, ihn auszusprechen, das konnte sie deutlich erkennen. Ihr Heilerblick sah die Schwäche seines Körpers durch ihre Fingerspitzen. Sie begann zu fluchen, weil sie nicht wusste, was sie sonst sagen sollte – und hörte dann auf, weil sie sah, dass er tatsächlich irgendetwas tat. Nicht sprechen – falls Namen jemals so an die Freiheit gelangten. Er konnte es nicht.
    Aber … er war der Lord der grünen Auen, und sie wusste, er würde nicht zulassen, dass ihn ein sterbliches Mädchen, das kaum erwachsen war, übertrumpfte.
    Zwischen ihnen, in der Luft über ihren Händen und unter dem Gewicht des einzelnen, riesigen Strichs, den sie so weit getragen hatte, begannen sich feine Linien zu bilden. Sie wusste, was sie waren. Sie hatte etwas Ähnliches schon einmal gesehen, in der Nachtschattenburg, als Lord Nightshade ihr, letztendlich, seinen Namen, die Wahrheit über sich selbst, gegeben hatte.
    Ihn aussprechen? Nein.
    Aber ihn
denken
, ihn auf diese Art schreiben – falls er echt war und nicht ein elementarer Teil ihrer Verbindung –, dazu ließ er sich gerade noch zwingen. Er formte sich langsam, Kurve und Punkt, Kurve und Punkt, Linie und Linie. Es war ein schwieriges Wort, so wie Nightshades es nicht gewesen war.
    Sie konnte es nicht
lesen
, wie sie Nightshades gelesen hatte, und einen Augenblick lang erlahmte sie, ließ sich von der Angst übermannen. Hörte die Stimme der Dunkelheit wie eine körperliche Kraft, die forderte, dass der Lord der grünen Auen sie losließ. Sie tötete. Sie verschlang.
    Aber er konnte nicht.
    Die Zeichen auf ihren Armen waren jetzt so hell, dass sie seine eigene Rune fast überstrahlten. Ihr Leuchten erhob sich in Form von Worten in die Luft, jedes dicht und perfekt, jedes ganz und für sich vollkommen.
    Seine war es
nicht
.
    Das zu begreifen raubte ihren

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