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Kaylin und das Geheimnis des Turms

Kaylin und das Geheimnis des Turms

Titel: Kaylin und das Geheimnis des Turms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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Westmarsche. “Die Lordgemahlin schickt mich”, fuhr sie fort. “Und ich fürchte, wir müssen uns beeilen. Wird meine Abwesenheit bemerkt, folgt mein Bruder mir, und es wird ihm überhaupt nicht gefallen.”
    Kaylin nickte, und sie hasteten – ein anderes Wort gab es nicht – den Gang hinab. Die Barrani war größer als Kaylin, und ihre Schritte waren länger. Kaylin musste alle Würde hinter sich lassen, um mit ihr Schritt zu halten. Mit dem Verlust ihrer Würde konnte sie umgehen. Aber sie wollte reden, und das war schon schwerer.
    Sie hörte ein Knurren in der Ferne und erstarrte fast. Die Lady der Barrani griff nach ihrer Hand und riss sie von den Füßen. “Ja”, sagte sie, “es ist fast da.”
    Endlich gelangten sie an eine vertraute Tür.
    Die Lady hob eine Hand und stieß damit fast
durch
die Balken. Anscheinend mochte sie Türzauber ebenso gern wie Kaylin … und hatte sehr viel mehr Muskeln, um dem Ausdruck zu geben.
    Die Tür gab nicht nach und zersplitterte nicht, sie flog auch nicht aus den Angeln, aber sie öffnete sich ein ganzes Stück schneller als beim ersten Mal. Kaylin trat in die von Fackeln beleuchtete Dunkelheit eines bekannten Raumes.
    Die Tür schloss sich hinter ihnen. Die Glocken klangen nicht mehr. Das Knurren leider schon, und ohne die süße Musik, die es übertönte, klang es fast obszön nahe.
    “Warum?”, fragte Kaylin die Frau, die über den mit Runen verzierten Boden schritt.
    Die Frau drehte sich um, um sie anzusehen. Drehte sich wieder fort. Aber sie antwortete. “Ich liebe meine Brüder”, sagte sie leise. “Beide. Und sie werden beide vernichtet werden. Ich habe gewartet”, fügte sie bitter hinzu, “und ich habe gearbeitet. Aber ich bin nicht die Lordgemahlin, und der Turm steht mir nicht offen.”
    “Das bin ich auch nicht.”
    “Nein. Aber ich weiß, was du getan hast, Kaylin. Die Lordgemahlin hat es mir erzählt. Und sie hat mir auch von ihrer Hoffnung erzählt. Es ist die Hoffnung der Dummen”, sagte sie verbittert, “und wir haben uns selbst bis zum Letzten als dumm erwiesen. Aber ich bin nicht der Lord der Westmarsche. Ich bin nicht, was er sein wird oder was er war. Ich werde die Mutter meines Volkes sein, und ich werde sie
nicht
sterben sehen, solange du noch einen Schimmer Hoffnung bietest.”
    “Hat er Euch gesagt …”
    “Nein.”
    “Und woher …”
    “Frag nicht. So ist es am besten. Mein Vater fürchtet dein Wissen.” Ihr Rücken wirkte dabei wie eine drohende Bestätigung.
    “Werde ich den Lord der grünen Auen umbringen?”
    “Er ist schon fast tot”, war die sachliche Antwort. Nahm man ihr die Kälte und das Eis, blieb nur Schmerz. “Ich bin bereit, das Risiko einzugehen.”
    Sie berührte das Siegel, und Kaylin trat vor, um sich ihr anzuschließen. Sie sah zu, wie die Runen aufleuchteten. Sie hatte es schon einmal gesehen und hatte auch gesehen, wie das Wasser – zähflüssiges, trübes Wasser – sich wie Lagen von etwas fast Festem teilte.
    Dieses Mal sahen sie flüssiger aus.
    “Was
ist
das?”, fragte sie.
    Die Lady antwortete nicht.
    Und aus dem Herz des Kreises, auf allen Seiten von Worten gefesselt, die zu alt waren, um sie noch lesen zu können, erhob sich ein zweites Mal der Lord der grünen Auen.

20. KAPITEL
    K aylin drehte sich fast instinktiv um und gab der Lady – sie hasste es wirklich, wie sehr die Barrani ihre Titel liebten – einen sehr undamenhaften Stoß. Er kam unerwartet – für sie beide –, und die Lady stolperte ein paar Schritte rückwärts. Sie verlor ihr Gleichgewicht aber nicht. Nur ihren Platz auf der Umrandung des Kreises.
    Kaylin hoffte, sie würde nicht zurückschlagen.
    Sie sah dem Lord der grünen Auen in die Augen, sie waren schwarz. Falls darin Farbe lag, wie sie es in ihrem Traum getan hatten, konnte man sie hier nicht sehen. Aus Verzweiflung gab sie dem Licht der Fackeln daran die Schuld. Aber die Fackeln, die in acht gleichmäßigen Abständen um den Kreis herum standen, waren hell genug.
    Er war blass und nicht auf die gleiche Art anmutig, wie seine jüngeren Geschwister es waren. Das konnte er hier nicht sein. Er versuchte nicht, auf sie zuzutreten. Fast wäre sie einen Schritt auf ihn zugegangen, aber sie überlegte es sich anders, ehe sie mit dem nackten Fuß auf etwas trat, das man nur mit viel Wohlwollen als Schleim bezeichnen konnte.
    “Mein Bruder ist nicht bei dir”, sagte er. Seine Stimme klang in ihren Ohren normal. Sie klang – und schmeckte fast – nach Asche, für den

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