Kebabweihnacht
ins Gespräch kam, geschah |44| etwas Eigenartiges. Es entstand eine Empathie, bei der Umut durch Nachfragen zu ergründen versuchte, welche Vorstellungen und Wünsche die Frau für den Weihnachtsabend hatte. Dann blühte er auf, unterstützte die Wünsche der Kundin durch Vorschläge, aber es gab auch genügend Momente, wo er ihr abriet und sie zu ganz anderen Phantasien anregte. Manchmal machte Umut sogar Vorschläge zum Festessen oder zur Gästeliste.
»Sie müssen sich das so vorstellen«, fing er an, »es wollen doch Kinder mitfeiern, und das, was Sie sich vorstellen, ist doch viel zu langweilig. Ich habe mir als Kind immer gewünscht, dass es ganz bunt ist und viele Weihnachtsmänner da sind!«
»Sie sind ja immer noch ein halbes Kind«, meinte eine ältere Dame.
»Ja, stimmt«, gab Umut zu. »Und deswegen weiß ich noch genau, was Kindern gefällt, machen Sie nicht alles in Creme und Weiß, das ist langweilig für Kinder, ich empfehle Ihnen Grün und Rot und dazu viele, viele Weihnachtsmänner!«
In seinem Kopf existierten verschieden geschmückte Weihnachtszimmer, denen er Phantasienamen gegeben hatte: »Eingeschneit in einem englischen Castle«, »Weihnachten im Eisschloss«, »Weihnachtsabend in New York«, »Weihnachten im Schloss der purpurnen Königin«.
Die malte er seinen Kundinnen aus, die sich nach kurzer Zeit in diesen imaginierten Weihnachtszimmern herumspazieren sahen. Es war das Geheimnis |45| seines Erfolges, er eröffnete den Kundinnen seine Weihnachtsphantasien, und sie hatten das Gefühl, einen maßgeschneiderten Traum zu kaufen. Und das Schönste an diesem Deal war, dass es passte.
Umut verkaufte keine Illusionen, er verkaufte Träume, die sich irgendwie wiederfanden in den Wohnzimmern seiner Kunden. Es gefiel ihm, es gefiel ihm sehr. Was ihm nicht gefiel, war die traurige Tatsache, dass er selbst kein Weihnachtszimmer haben würde, in dem er sein Weihnachten ausleben konnte.
»Ist doch schön, wenn es anderen gutgeht in ihren Weihnachtszimmern, die ich eingerichtet habe«, sagte eine Stimme in ihm. »Man kann glücklich sein, dass man sich verwirklichen kann, indem man für andere das Zimmer dekoriert.«
»Ich will auch ein schönes Weihnachtszimmer«, sagte eine andere Stimme in ihm – trotzig, ein wenig wütend und neidisch, dass er das Schöne, das er erschaffen hatte, nicht selber besitzen konnte.
Ohne Zweifel war die Stimme, die auch ein Weihnachtszimmer haben wollte, lauter.
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I N DER LETZTEN Oktoberwoche hatte Babaanne, die Oma, Geburtstag. Sie waren alle eingeladen, obwohl sein Vater auch dazu seinen moralinsauren Kommentar abgab, dass es mit dem echten Islam nicht vereinbar sei, Geburtstag zu feiern.
»Im Islam gibt es keine Geburtstagsfeiern«, stellte er fest, »unser Imam hat das beim letzten Freitagsgebet noch einmal betont, der Geburtstag ist eine christliche Sitte!«
»Das glaube ich nicht!«, sagte Umut.
»Was glaubst du nicht?« Die Stimme seines Vaters klang ziemlich gereizt.
»Erstens glaube ich nicht, dass die Geburtstagsfeier eine christliche Sitte ist, und zweitens glaube ich nicht, dass dies im Islam verboten ist!«
»Du willst es besser wissen als der Imam?«
»Ja!«
»Woher nimmst die diese Frechheit?«
»Nun, wenn es so wäre, wie es der Imam sagt, dann würden die Zeugen Jehovas nicht genauso argumentieren, ich meine natürlich genau umgekehrt. Die behaupten doch auch, dass der Geburtstag nicht christlich sei und deswegen nicht gefeiert werden |48| dürfe. Also sind das doch alles Erfindungen, um die Menschen von den Freuden des Lebens abzuhalten. Wo doch Oma so gerne Geburtstag feiert! Und so viel Spaß daran hat.«
Arif antwortete nicht. Irgendwie hatte ihn der Junge durcheinandergebracht. Und da er sich in den letzten Jahren abgewöhnt hatte, selber zu denken, konnte er jetzt nichts sagen. Er musste erst den Imam dazu befragen. Aber er spürte eine diffuse Wut im Bauch, die sich woanders entladen würde.
Beim Abendessen waren dann alle da: Umuts gesamte Familie sowie die Familie des Onkels. Das Gespräch landete bei den anstehenden Weihnachtsferien.
»Wir fahren über Weihnachten in die Türkei«, erzählte Tante Esra, »was macht ihr?«
»Keine Ahnung«, antwortete Hülya müde. »Ich glaube, wir sind wie immer zu Hause. Vor zwei Jahren waren wir ja in Istanbul, aber Arif hat sich so aufgeregt wegen der Weihnachtsdekoration überall. Schon auf dem Taksim-Platz, dem Mittelpunkt der Stadt, stand ein riesiger Weihnachtsbaum. Wohin wir
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