Kebabweihnacht
bringen als Kaufmann. Wirst du auch dekorieren, oder müssen wir das übernehmen?«
»Also mir wäre es sehr lieb, wenn du dekorieren würdest«, sagte Maria, mit leicht schleppender Stimme, die unterstreichen sollte, dass sie sich körperlich nicht mehr so in der Lage fühlte, sich zu bücken und zu strecken.
»Aber natürlich dekoriere ich für euch! Das Zimmer wird dann ›Weihnachten in der Provence‹ heißen. Wann soll ich denn vorbeikommen?«
»So ein Weihnachten in der Provence sollte man eigentlich so lange wie möglich genießen. Ich würde sagen, du dekorierst Ende November, und dann kommst du kurz vor Heiligabend noch einmal für den Baum. Ich meine, du bist auch zwischendurch herzlich eingeladen, aber du hast ja nicht so viel Zeit.«
|53| NACHDEM UMUT DIE Wohnung der Rohowskys verlassen hatte, fühlte er sich durcheinander. Auf der einen Seite freute er sich darauf, die Dekoration zu gestalten, auf der anderen Seite war es eben doch nicht seine Wohnung. Auch wenn die Rohowskys ihm immer wieder sagten, er solle sich bei ihnen wie zu Hause fühlen. Zu Hause fühlen und zu Hause sein waren doch zwei verschiedene Dinge.
Wie würde ich mir denn mein Weihnachtszimmer gestalten?, dachte er. Bei »Weihnachten in der Provence« hatte er doch viel Rücksicht nehmen müssen auf die Inneneinrichtung der Rohowskys. Sein Traumweihnachtszimmer würde ganz klassisch aussehen: Rot, Grün und Gold. Sein Weihnachtszimmer würde wahrscheinlich »very British« heißen. Bei dem Gedanken musste er grinsen. Den Baum würde ich mit diesen wunderbaren Figuren schmücken, die gerade aus England gekommen sind, dachte er. Und die Vögel und Äpfel und Schleifen müssten dann eigentlich kariert sein, oder wäre das zu überladen? Verdammt, er hatte keine Chance, seinen Traum wahr zu machen. Oder doch? Aber wie?
Am nächsten Tag war der Gedanke da. Zuerst nur |54| ganz kurz, wie eine Art Geistesblitz, der auftaucht und wieder verschwindet. Es ging um Heiligabend, alle Auszubildenden aßen zusammen zu Mittag und erzählten dabei der Reihe nach, wo sie den Abend verbringen würden. Die meisten würden bei ihren Eltern sein. Das ist wie bei uns zum Ramadanfest, dachte Umut, die Familie gehört zusammen, aber das trifft doch bei uns nicht auf Heiligabend zu. Was ist, wenn der Heiligabend nur mir gehören würde, wenn es mein Heiliger Abend wäre, den ich ganz allein feiern kann?
Der Gedanke schoss ihm im Laufe des Nachmittags immer wieder durch den Kopf. Er versuchte ihn zu verdrängen, brachte immer andere Argumente gegen sich und diesen Gedanken vor: Mach es doch einfach, geh in dein Zimmer, mach die Tür zu und feier Weihnachten, sagte die eine Stimme. – Wie soll das vor sich gehen? Ich habe doch nur mein Zimmer zu Hause, und was würde mein Vater sagen, wenn ich es weihnachtlich schmücken würde, von feiern ganz zu schweigen!, antwortete die Gegenstimme. – Dann musst du ein Zimmer haben, zu dem sonst niemand Zugang hat! – Wie soll das gehen, das ist doch verrückt, nein, ich werde das nie haben und nie feiern können!
Allein der Gedanke machte ihn so traurig, dass es ihm fast die Tränen in die Augen trieb. Er spürte, wie der Gedanke ihn nicht losließ, er begleitete ihn, als er die Kunden bediente, als er mit der Straßenbahn fuhr und als er endlich zu Hause ankam.
|55| Die Wohnung, in der sie lebten, bestand aus vier Zimmern, dem Wohnzimmer, dem Schlafzimmer der Eltern und jeweils einem Zimmer für ihn und seine Schwester. Er dachte daran, wie stolz er immer gewesen war, wenn er in der Schule seinen Klassenkameraden erzählen konnte, dass er ein eigenes Zimmer hatte.
So selbstverständlich war das nämlich nicht gewesen, es gab genügend Kinder, die sich ihr Zimmer mit einem Geschwisterkind teilen mussten. Aber jetzt kam ihm alles viel zu eng vor, seine Schwester war schon über zwanzig, aber es war nie die Rede davon gewesen, dass sie ausziehen könnte.
Nein, das gab es nicht bei türkischen Familien, dachte er grimmig, man blieb brav zu Hause wohnen, bis man heiratete, und diejenigen, die nicht heirateten, die blieben immer weiter bei den Eltern wohnen. Wenn er ehrlich war, konnte er sich gar nicht vorstellen, wie das wäre, eine eigene Wohnung zu haben, niemand in seinem Umfeld hatte eine eigene Wohnung. Einige der Azubis erzählten, dass sie mit anderen zusammenwohnten, in einer Wohngemeinschaft, ohne Eltern, die immer wissen wollten, wo man gerade war, wann man nach Hause kam, was man vorhatte; ohne Mütter,
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