Keeva McCullen 4 - Tödliche Fesseln (German Edition)
am frühen Morgen, ehe Alfred zu seiner Arbeitsstelle aufbrechen musste. Im Winter war es zu dieser Zeit meist noch dunkel gewesen und die Wohnung eiskalt, weil die Heizung nie so richtig funktionierte. Aber der Tee hatte sie gewärmt. Später, als Alfred in Rente war, hatten sie es sich manchmal gegönnt, ein wenig länger zu schlafen und ihren gemeinsamen Tee erst am späten Vormittag zu sich zu nehmen - darauf verzichtet hatten sie jedoch nie.
Und heute, da Alfred schon ein paar Jahre tot war und sie aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters kein großes Schlafbedürfnis mehr besaß, holte sie erneut noch vor dem Morgengrauen die Tageszeitung von draußen herein und kochte ihren Tee. Sie mochte diese ruhige Zeit, wenn der Rest der Stadt noch schlief und der Tag selbst noch gar nicht richtig wach zu sein schien.
Olivia legte die zusammengefaltete Zeitung auf den Tisch und nahm den großen Aluminiumkessel für das Wasser in die Hand. Bedächtig marschierte sie zum Waschbecken, hielt den Kessel unter den Wasserhahn und öffnete ihn.
„Oh nein!“, seufzte sie, als sie sah, wie eine dunkelrote Brühe in den silberfarbenen Kessel floss. Leicht verärgert stellte sie den Kessel beiseite und ließ das verfärbte Wasser in den Abfluss rinnen. Passierte das jetzt etwa erneut? Das durfte eigentlich nicht sein!
Vor ungefähr einem halben Jahr war das Wasser schon einmal bräunlich verfärbt gewesen und hatte metallisch gerochen. Sie war damals zur Hausverwaltung gegangen und hatte sich beschwert. Man hatte ihr erklärt, dass derzeit die Leitungssysteme der Umgebung erneuert würden - und Verfärbungen rührten daher, dass sich beim Austausch von Leitungsteilen Rost löste. Das sei völlig harmlos, hatte die freundliche Angestellte versichert, Olivia könne das Wasser bedenkenlos trinken. Am Ende des Monats wären die Arbeiten abschlossen und das Problem somit erledigt.
Nun, das hatte sich bewahrheitet. Bereits seit vielen Wochen war keine rostrote Plörre mehr aus ihrem Hahn geflossen. Bis jetzt …
Verdrießlich betrachtete sie das versickernde Wasser. Normalerweise war es etwas klarer geworden, wenn man es nur lange genug laufen ließ, doch heute schien selbst das nichts zu nützen.
Der typisch metallische Geruch stieg ihr in die Nase. Plötzlich fiel ihr auf, dass diesmal noch eine andere Duftnuance dabei zu sein schien.
Olivia beugte sich etwas vor und schnupperte. Ja, es roch anders, eindeutig. Bisher war der Geruch des rostigen Wassers eher kühl gewesen, so wie zum Beispiel nasses Eisen roch. Doch heute empfand sie ihn als unangenehm … warm. Sie konnte es nicht anders beschreiben: vorher hatte es nach totem Metall gerochen, heute nahm sie das Aroma von etwas Organischem darin wahr …
Kurz entschlossen nahm sie sich ein Glas aus dem Küchenschrank, füllte das rötliche Wasser hinein, nahm einen vorsichtigen Schluck - und spuckte ihn angewidert in das Waschbecken.
Das war kein einfacher Rost! Wenn sie nicht alles täuschte, dann schmeckte dieses Wasser nach Blut!
*
„Matthew!“
Sally Gordons Stimme drang durch die Flure des Wasserversorgungsunternehmens. Sie ging in den Aufenthaltsraum, traf dort aber nur Harry an.
„Hast du Matthew irgendwo gesehen?“, fragte sie ihn, doch dieser schüttelte den Kopf.
„Nein, noch nicht“, meinte er. „Worum geht es?“
Sally hielt einen Zettel hoch, den sie in den Händen hatte.
„Mich hat gerade eine alte Frau angerufen“, erklärte sie. „Anscheinend gibt es ganz massive Probleme mit einer Wasserleitung. Was sie da beschrieben hat, hörte sich für mich nach einem Leitungsbruch und Vermischung mit Abwasser an oder so etwas in der Art. Jedenfalls kommt verschmutztes Wasser aus einer Frischwasserleitung. Und zwar genau in dem Gebiet, in dem Matthew gestern Nachmittag schon unterwegs war. Daher wollte ich ihn fragen, was dabei eigentlich herausgekommen ist.“
Harry zuckte mit den Schultern.
„Eigentlich sollte er jeden Moment zum Dienst antreten“, meinte er lapidar. „Ansonsten kannst du ja seinen Bericht durchlesen. Oder ihn einfach anrufen.“
Sally nickte.
„Angerufen habe ich schon, er geht nicht ran“, sagte sie. „Wahrscheinlich ist er gerade auf dem Weg hierher. Aber das mit dem Bericht ist eine gute Idee.“
Sie drehte sich um und ging zurück in ihr Büro. Nach einigem Suchen hatte sie Matthews Arbeitsbericht gefunden und las ihn stirnrunzelnd durch.
„Nun, das bringt mich jetzt auch nicht weiter“, murmelte sie, griff zum
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