Keeva McCullen 6 - Der Wiedergänger (German Edition)
stimmte er zu und lächelte. „Nicht jedem ist es vergönnt, so alt zu werden. Noch dazu in so guter Gesundheit, bis zum Schluss.“
Und genau das macht mir Sorgen, dachte er, sprach es jedoch nicht aus. Als einziger Arzt dieser kleinen Gemeinde im wohl entlegensten Winkel des Lake Districts hatte er die Verstorbene natürlich gekannt. Er hatte sie regelmäßig untersucht und ihr ab und zu Vitamintabletten verschrieben - mehr jedoch war nie nötig gewesen, die alte Dame war erstaunlich gut in Form gewesen.
Bis vor knapp einem Monat. Von da an war es mit ihr steil bergab gegangen, ohne dass er eine Krankheit diagnostizieren oder eine andere, medizinische Ursache hätte finden können. Die Familie der Frau hatte deren raschen körperlichen Abbau auf ihr fortgeschrittenes Alter geschoben - die Lebensuhr war eben abgelaufen - und James hatte so getan, als wenn er dem zustimmte. Insgeheim jedoch hatte er es mit der Angst zu tun bekommen. Der Verfall der Greisin war einfach viel zu schnell vonstatten gegangen, vor allem, wenn man ihre robuste Gesundheit mit in Betracht zog. Es hatte eher so gewirkt, als wäre ihr das Leben richtiggehend abgesaugt worden …
James Morgan drehte sich um und übergab dem Leichenbestatter die nötigen Papiere. Er war heute sehr früh am Morgen telefonisch benachrichtigt worden, dass er doch bitte kommen möge, die Großmutter sei in der Nacht verstorben. Als James das Schlafzimmer der Großmutter betreten hatte, hatte er dort eine sehr friedlich wirkende Tote in ihrem Bett vorgefunden. Eine umfangreiche Untersuchung der Leiche hatte nichts Ungewöhnliches zu Tage gefördert. Sie war im Schlaf gestorben, höchstwahrscheinlich schmerzlos und ohne noch einmal aufzuwachen.
Trotzdem …
Hör auf, dir etwas einzureden, es lag nur am Alter, schalt er sich in Gedanken. Menschen starben nun einmal. Und wenn diese bis zum Schluss agil und beweglich blieben und der Verfall sich dann nicht quälend langsam über Monate oder gar Jahre hinwegzog, sondern schnell über die Bühne ging - dann war das doch nur wünschenswert, oder nicht?
Allerdings war das gerade in letzter Zeit hier im Dorf ein wenig zu oft vorgekommen. Vollkommen gesunde und bis auf eine leichte Altersschwäche sehr fitte Bewohner verloren binnen kürzester Zeit - und ohne erkennbare Ursache - an Lebensenergie und starben. Die alte Dame heute Nacht war bereits die siebte in dieser Reihe. Und bald gab es keine alten Menschen mehr im Dorf ...
So langsam konnte er nicht mehr darüber hinwegsehen, dass hier etwas vorzugehen schien, was sich mit seinen schulmedizinischen Kenntnissen nicht so einfach erklären ließ. Er betreute diese Gemeinde als Arzt seit nun schon bald dreißig Jahren - und hatte so etwas noch nie zuvor erlebt.
Ehe er selbst zum Arzt ausgebildet worden war, hatte sich seine inzwischen verstorbene Großmutter als eine Art Kräuterhexe um die gesundheitlichen und seelischen Belange der Menschen in diesem einsamen Tal gekümmert. James war klar, dass Abigail Morgan jetzt sicherlich von irgendeiner bösen Macht als Ursache für dieses unerklärliche Sterben gesprochen hätte. Aber sie war ja schließlich auch eine weiße Hexe gewesen - und hatte die irrwitzigsten Dinge für möglich gehalten. Er nicht. Er war schließlich Arzt und glaubte nicht an solchen Hokuspokus …
Dennoch, etwas in seinem Innersten sagte ihm, dass er hier mit den üblichen Behandlungsmethoden nicht mehr weiter kommen würde. Und er wusste ebenso, dass sich sein verfluchtes Innerstes in dieser Hinsicht selten irrte. Denn wenn er eines von seiner Großmutter geerbt hatte, dann war das ihre angeborene magische Begabung - auch wenn er das damals, vor vierzig Jahren, als sie ihn zu ihrem Nachfolger ausbilden wollte, vehement geleugnet hatte.
„Du trägst diese Magie in dir, James“, hatte sie gesagt. „Nicht wie dein Vater, den hat die Erbfolge anscheinend übersprungen. Aber bei dir ist sie stark. Du musst diese Erkenntnis nur zulassen ...“
Er hatte es nicht getan.
Stattdessen hatte er sich der reinen Schulmedizin zugewandt, den Fakten und nachvollziehbaren Ergebnissen - und war damit bisher ziemlich gut gefahren. Auch wenn ihm, zugegebenermaßen, seine rudimentären magischen Fähigkeiten auch recht oft bei der Diagnose von Krankheiten geholfen hatten. Allerdings nannte er es lieber ausgeprägte Intuition.
Aber jetzt ging es nicht nur um irgendeine Diagnose. Jetzt musste er sich darüber klar werden, ob er es hier nicht vielleicht wirklich mit
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