Kehraus fuer eine Leiche
lasse sie in Ruhe weiterweinen. Wir haben alle Zeit der Welt. Nichts wird mich dazu bringen, sie in ihrer Verzweiflung allein zu lassen. Fragen stelle ich keine mehr. Was sie mir zu erzählen hat, ist jetzt nicht wichtig. Wichtig ist nur, dass ich eine weitere Katastrophe verhindere. Vielleicht tut ihr das Weinen gut.
Vor der Spüle liegt eine hingepfefferte schwarze Umhängetasche, aus der einige Hefte gerutscht sind. Natürlich, Pia ist gerade erst mit dem Schulbus heimgekommen. Deshalb hat die Polizei sie verpasst.
Patti geht offenbar nicht mehr zur Schule. Seltsam, dass ich mir darüber noch nie Gedanken gemacht habe. Wie über vieles andere auch nicht. Auf dem Herd steht ein großer Topf, in dem es leise vor sich hin brodelt.
Ich stehe auf, hebe den Deckel und schnuppere hinein. Die Ochsenschwanzsuppe riecht gut. Vor Schreck über die Polizeitruppe an der Tür hat Frau Pee bestimmt vergessen, den Herd auszustellen. Während der Vernehmung wird ihr das einfallen. Sie wird an ihre brennende Küche denken und mit einem Entsetzensschrei aufspringen. Was die in ihre Ermittlungen verstrickten Polizisten wie Marcel natürlich gegen sie verwenden werden. Was ist mit Ihrer Küche? Liegt da das Messer, mit dem Sie Steffen Meier umgebracht haben?
Ich ziehe die Schubladen auf. Finde kein Santoku-Messer, aber jede Menge Suppenlöffel. Ich nehme zwei heraus, stelle den Herd aus und fülle zwei tiefe Teller aus dem Küchenschrank mit der dampfenden Suppe. Da der Schnittlauch auf der Fensterbank seine gelben Stängel ebenso traurig hängen lässt wie Pia ihre Schultern, verzichte ich auf diese Verfeinerung und entriegele den uralten Kühlschrank von Gudruns Mutter. Erstaunlich, dass dieses Teil aus den Fünfzigern noch funktioniert! Damals wurden eben auch Elektrogeräte noch für die Ewigkeit gebaut. Ewigkeit. Tod. Ich blicke zu Pia. Sie weint nicht mehr, sondern schaut mir aus umflorten Augen zu.
»Was machen Sie da?«
»Uns was zu essen. Ich habe Hunger.«
»Ich nicht.«
»Macht nichts«, sage ich, stelle uns die Teller hin und fange an zu essen.
»Ich möchte sterben.«
»Warum?«
»Ich kann nicht mehr leben. Ich will zu Steffen. Mich wird nie wieder jemand lieben.«
Eine wunderbare Eröffnung. Jetzt kommen wir weiter.
»Es gibt jemand, der dich sehr mag«, sage ich. »Auch wenn du unmöglich gemein zu ihm warst.«
Sie hebt ihr tränenüberströmtes Gesicht.
»Ich mag ihn auch«, flüstert sie, sieht nach unten, legt das Messer weg und taucht den Löffel in die Suppe. Ich widerstehe dem Impuls, schnell nach dem Messer zu greifen und es wegzuräumen. In der Schublade hinter mir habe ich ein ganzes Arsenal scharfer Klingen gesehen.
»Warum hast du ihn dann so schlecht behandelt?«
»Weil …« Sie führt den Löffel zum Mund. Was mich beruhigt. Wer isst, bringt sich nicht um, jedenfalls nicht dann, wenn er das Richtige isst wie eine ordentliche Eifeler Ochsenschwanzsuppe.
»… weil er so sauber ist«, beendet sie ihren Satz.
»Sauber?«
»Anständig. Gut. Und ich bin so …« Sie hebt den Löffel wieder an den Mund, schluckt und fährt dann flüsternd fort: »Ich bin nicht, wie ich aussehe. Ich bin dreckig. Versaut. Eklig. Ich bin ein schlechter Mensch. Es ist besser, wenn ich tot bin. Für alle.«
Sie schmeißt den Löffel in den Teller und beginnt wieder zu weinen. Ich wische mir die Suppenspritzer vom Gesicht.
»Der Steffen«, schluchzt sie, »der kannte mich, der wusste alles, und es hat ihm nichts ausgemacht. Für ihn war ich trotzdem eine Prinzessin. Er hat alles für mich getan. Und ich habe ihn umgebracht!«
Ich verschlucke mich an der Suppe.
»Was sagst du da?«
»Ja«, sagt sie eindringlich. »Ich bin schuld. Jemand hat ihn ermordet, weil er mich geliebt hat. Ich bin ein Fluch. Ich bringe allen nur Unglück. Auch dem Daniel. Der darf mich nicht mögen. Er soll nicht traurig sein, wenn ich tot bin. Er soll froh sein, sagen Sie ihm das.«
»Du wirst nicht sterben.«
»Doch!«
Sie steht mit einem Ruck auf. Wieder quietscht der Stuhl über den Stein.
»Ich muss«, sagt sie und sieht mich entschlossen an. Die Tränen sind versiegt. »Mein Leben ist zu Ende. Nicht nur wegen dem Steffen. Es gibt noch einen Grund. Den Sie nicht kennen. Wollen Sie den sehen?«
»Ja«, antworte ich gedehnt und erhebe mich ebenfalls. Das Herz klopft mir bis zum Hals. Mein Instinkt hat mich also nicht getrogen. Jetzt wird sie mir den Ort des Unheils zeigen. Blaubarts achte Kammer. Ein Wespennest ist ein
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