Kehraus fuer eine Leiche
habe! Ich kann nichts tun, sollte also versuchen, mich mal gründlich auszuschlafen. Wenigstens ist es hier nicht kalt. Aber sehr finster. Sieh das Positive! Dunkelheit, wenn man ihr denn die Chance gibt, macht wie Unwissen den Kopf frei. Ich kann alles in das Schwarz hineinmalen, es nach meinem Belieben umdeuten. Jetzt begreife ich, in welchem Dunkel ich die vergangenen Tage herumgetappt bin. Ich habe mir meine Theorien zurechtgelegt, danach gehandelt und bin dadurch im Bunker gelandet.
Ich werde mir meine Jacke unter den Kopf schieben und mir vorstellen, an einem beschaulichen Ort zu übernachten. In einem Traumgarten meiner Kindheit, zum Beispiel. Wenn mich was Tierisches berührt, werde ich nicht an Rattenschwänze denken, sondern lasse mich vom sanften Flügel eines bunten Vogels streifen. Werde süß träumend auf Rettung warten. Straßenlärm wird mich jedenfalls nicht wecken. Aber wie kann ich schlafen, wenn ich weiß, dass sich ganz in meiner Nähe ein Mensch umbringen will?
Fliegt, Gedanken, fliegt! Ich schicke einen telepathischen Gruß nach Prüm.
Beeilt euch mit der Vernehmung, ihr Polizisten! Frau Prönsfeldt, Ihre Küche brennt!
Ich werde nicht schlafen. Ich werde mich mit esoterischem Unsinn beschäftigen. Meine verbrannte Hand ist schließlich auch auf unerklärliche Weise durch einen Telefonanruf geheilt worden. Es gibt nicht nur Bunker zwischen Himmel und Erde, auch wenn mir das jetzt so vorkommt. Beten wäre vielleicht auch angebracht. Doch ganz gleich, in welcher Reihenfolge ich um Beistand werbe; ein fürchterlicher Gedanke ist nicht zu vertreiben: Wenn sich Pia das Leben nimmt, bin auch ich so gut wie tot. Niemand wird mich in diesem Bunker suchen.
18_HERKUNFT
Montagnacht
Esoterik ermüdet. Irgendwann muss ich bei den verzweifelten Bemühungen, telepathisch Kontakt aufzunehmen, tatsächlich eingeschlafen sein. Weil ich soeben auf dem harten Boden aufgewacht bin. Mein erster Gedanke gilt Pia. Sie muss tot sein. Hätte sie überlebt, hätte sie geredet, und ich wäre längst befreit worden.
Ich richte mich auf und taste nach dem Handy, das ich neben mich gelegt habe. Sieben Uhr. Noch mindestens fünf Stunden, ehe man mich vermissen wird. Gudrun hat einen Schlüssel für mein Haus. Sie wird mein unbenutztes Bett sehen und Alarm schlagen.
Marcel wird versuchen, mich zu erreichen. Und denken, dass ich immer noch sauer auf ihn bin, weil ich mein Handy ausgestellt habe. Hallo, Marcel, ich bin in einen Bunker am Gnadenhof eingesperrt . Wieso kommt das nicht bei dir an? Die Schwingungen meiner Gedanken können die Betonwände des Bunkers nicht durchdringen.
Es ist Zeit, aufzustehen. Ich bleibe noch einen Augenblick liegen, darauf gefasst, bei der ersten Bewegung wie ein uraltes Weib jeden Knochen einzeln zu spüren. Nach jeder Nacht im eigenen Bett tut mir ja schon der Rücken weh.
Erst aufsetzen. Der Oberkörper gehorcht erstaunlich geschmeidig. Mithilfe der Hände im Split richte ich mich auf. Mühelos. Staunend stehe ich im dunklen Bunker, setze ungläubig einen Fuß vor den anderen. Ich bin zum ersten Mal seit zwei Jahren schmerzfrei aufgewacht. Und fühle mich seltsam ausgeruht, obwohl mir der Magen gewaltig knurrt.
Sollte ich hier je rauskommen, werde ich mein durchgelegenes Anderthalbpersonenbett dem Sperrmüll übergeben und in ein neues Modell investieren. In eins aus Split und Beton.
Sehr viele Stunden später
Das Licht ist grell und schmerzt die Augen. Eine Figur fällt die Stufen hinunter und stürzt voll auf mich drauf.
»Katja!«
»Bitte, erstick mich nicht, Marcel«, keuche ich, als ich wieder zu Atem komme. »Was ist mit Pia?«
»Sie lebt!«, ruft er den Schemen zu, die den Eingang gnädig verdunkeln. Er küsst mich ab.
»Und Pia?«
»Alles in Ordnung. Daniel hat sie gerettet. Und dich auch.«
Es hätte alles fürchterlich schiefgehen können. Wenn Daniel gestern nicht beschlossen hätte, mit Pia im Schulbus auf die Kehr zu fahren. Unter dem Vorwand, mir Linus zurückzubringen. Er wollte das Mädchen nicht allein lassen, das am Morgen so überaus verstört in die Schule gekommen war. Mitten im Unterricht war sie in Tränen ausgebrochen. Wie üblich hatte ihn Pia gänzlich ignoriert, als er sie später im Schulbus ansprach.
Er lieferte Linus in der Einkehr ab und wurde gezwungen, dort mit seiner Mutter eine völlig abgefahrene Pizza zu essen, eine unverschämte Bezeichnung für meine Enten-Orangen-Linsen-Quiche, wie ich finde. Danach eilte er auf den Gnadenhof zu
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