Kehraus fuer eine Leiche
wir den Gästen und meinen Mitarbeitern zu.
»Alles unter Kontrolle!«, ruft Regine fröhlich. Was mich im Moment herzlich wenig interessiert.
»So kommst du mir nicht davon«, sage ich zu Marcel, als wir vor die Einkehr treten. »Du hast mir versprochen, alles zu sagen. Warum haben die Mädchen das mitgemacht? Marcel, die beiden waren noch Kinder, als es angefangen hat! Das muss für die der reine Horror gewesen sein!«
»War es auch«, entgegnet er und nimmt meinen Arm. »Patrizia hat uns alles erzählt.«
Ich schmiege mich dichter an ihn. Die Sterne über Belgien funkeln. Glitzernder Reif liegt auf den Windschutzscheiben der parkenden Autos. An der Straße bleibe ich stehen und deute nach links, wo es gelblich flackert.
Ich lasse Marcel los.
Er versteht sofort und geht mit mir zum Eingang zurück, wo neben den Stufen der Eimer mit dem Salz steht. Dröhnend fährt der Streuwagen vorüber. Sein gelbes Blinklicht färbt Marcels Gesicht gespenstisch fahl. Die Bundesstraße knistert noch, als wir ohne Worte und mit bloßen Händen das Streusalz auf meinem Vorplatz verteilen. Damit sich keiner meiner Gäste ein Bein bricht. Es friert gotterbärmlich.
Auch wenn der Mai schon längst angefangen hat.
Ich bin dankbar, diese Nacht nicht im Bunker verbringen zu müssen. Ahne aber, dass mich kein Eifeler Frost so schaudern machen kann wie das, was mir Marcel gleich erzählen wird.
Bei einem starken Kaffee bringt er es in meinem Wohnzimmer stockend hinter sich. Es bereitet ihm sichtlich Pein, Pattis Worte zu wiederholen. Ich erfahre, wie entsetzt die kleinen Mädchen waren, als sie plötzlich nicht vorsingen, sondern ganz andere Dinge tun sollten. Wie sie der Musiklehrer mit Geschenken und Drohungen gefügig gemacht und immer tiefer in den Dreck gezogen, wie er ihnen Geld für angeblich gewonnene Wettbewerbe zugesteckt hat. Geld, das sie brav bei ihrem Vater ablieferten. Zusammen mit gefälschten Zeitungsausschnitten über ihre Auftritte. Mit Liedern von Bach und Schubert. Einmal ließ er den Eltern sogar VIP-Karten zukommen, damit sie den angeblichen Triumph ihrer Töchter selbst erleben könnten. Natürlich wurde die Veranstaltung im letzten Moment abgesagt.
Den Mädchen zeigte er Kontoauszüge, auf denen sie ein Vermögen stetig wachsen sahen. Er sagte, dies seien ihre eigenen Bankkonten, über die sie nach ihrer Volljährigkeit verfügen dürften. Dann wären sie eh zu alt, um so viel Geld mit so wenig Arbeit zu verdienen. Vor allem Patti wurde immer wieder auf ihre nahende Haltbarkeitsgrenze in diesem perversen Milieu hingewiesen. Weil das Ende des Schreckens abzusehen war, schwiegen die Mädchen weiter. Weil sie sich schämten. Weil sie sich niemandem anzuvertrauen wagten. Weil sie von greifbarem Reichtum träumten. Wie der Streit ums Geld alle zermürben kann, erlebten sie schließlich tagtäglich zu Hause.
Natürlich gab es kein Konto auf ihren Namen, als Patti an ihrem achtzehnten Geburtstag bei der Bank auftauchte. Kurz zuvor hatten die Fahrten nach Köln ein plötzliches Ende genommen. Weshalb, konnte Patti nicht sagen. Ihr Vater hatte den Mädchen wutschnaubend ein Schreiben der Musikschule vor die Füße geworfen. Bedauerlicherweise entspräche das Talent der Töchter nicht mehr den geforderten Ansprüchen.
Diesen Satz bringt Marcel nur flüsternd hervor. Er räuspert sich.
»Als Polizist wird man zwangsläufig ziemlich abgebrüht, aber diese Geschichte hat uns alle richtig mitgeholt, das kann ich dir sagen.«
»Was ist mit dem Musiklehrer?«, frage ich.
»Über alle Berge. Ausgewandert. Schon vor Monaten. Interpol fahndet wegen anderer ähnlicher Verbrechen nach ihm.«
»Aber es muss doch mehr Leute geben, die Bescheid wussten. Die Chefin vom Bordell?«
»Die ist schon in die Mangel geholt worden. Behauptet, die Frauen nie gesehen zu haben, für die der Mann das Zimmer angemietet hat. Um Freiberuflerinnen kümmere sie sich nicht.«
»Wir wissen, dass das nicht stimmt.«
»Vor Gericht würde ihr Anwalt unsere Aussage zerpflücken.«
»Und der Fahrer? Oder hat der Mann die Mädchen selbst abgeholt?«
»In den ersten Jahren ist er selber gefahren. Hat ihnen unterwegs eingetrichtert, wie sie sich zu Hause verhalten und was sie wem sagen sollen. Er hat ihnen im Auto sogar Gesangsunterricht gegeben. Er ist tatsächlich ausgebildeter Musiklehrer. Wurde vor Jahren wegen sexueller Belästigung Minderjähriger rausgeschmissen. Im letzten Jahr brauchten die Mädchen wohl keine Instruktionen mehr. Da
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