Kehraus fuer eine Leiche
wäre – und wenn es auch nur für zehn Minuten gewesen wäre?«, fragt mich Marcel.
Fünf Minuten bis Losheimergraben, einmal Pistole abdrücken, fünf Minuten zurück. Zu schön, um wahr zu sein. Aber an jenem Abend habe ich Herrn Pee keine fünf Minuten aus den Augen gelassen.
Voller Bedauern nicke ich.
»Aber was ist mit dem Kindesmissbrauch?«, frage ich. »Da haben wir doch echte Beweise! Warum habt ihr ihn deswegen nicht eingebuchtet?«
»Weil in dieser scheußlichen Sache erst weiter ermittelt werden muss«, gibt Marcel zurück. »Es fehlen uns noch Beweise. Wir haben natürlich alle separat voneinander vernommen.«
»Außer Pia«, murmele ich.
»Die war noch in der Schule. Und sie ist minderjährig. Aber sobald sie wieder fit ist, werden wir sie natürlich befragen.«
»Wie geht es ihr?«
»Den Umständen entsprechend gut«, antwortet Marcel. »Dank Daniels schnellem Handeln wird sie keine bleibenden Schäden behalten.«
»Das glaubst du doch nicht im Ernst!«, fahre ich auf.
»Jedenfalls nicht von dem Selbsttötungsversuch«, antwortet Marcel und blickt finster vor sich hin. »Sie schläft erst mal. Sobald es die Ärzte zulassen, werden wir sie befragen.«
»Sie wird nur weinen.«
»Auch die deutsche Polizei beschäftigt gute Psychologen«, versichert Marcel.
»Die arme Pia hat nichts mehr zu verlieren«, sage ich. »Im Gegensatz zu ihrem Vater. Dem wird das Einkommen der Töchter fehlen.«
»Es ist ihm bisher nichts nachzuweisen. Und, Katja, das wirst du nicht gern hören, aber er war glaubhaft durch den Wind, als wir ihn mit den Fakten konfrontierten.«
»Ein guter Schauspieler«, sage ich abfällig. »Der hat das doch alles eingefädelt. Seine Töchter als Pferdchen für sich laufen lassen, ekelhaft!«
»Die ganze Sache ist ekelhaft«, bestätigt Marcel. »Aber nach unseren Erkenntnissen stecken die Eltern nicht dahinter. Die sind total ausgeflippt, als wir ihnen sagten, dass ihre Töchter seit Jahren als Prostituierte gearbeitet haben. Der Vater ist zusammengebrochen. Er konnte überhaupt nicht mehr aufhören zu weinen.«
»Krokodilstränen«, sage ich bissig und blicke schnell um Entschuldigung heischend auf meine rechte Hand. Die Brandechse fühlt sich zum Glück nicht angesprochen. »Es ist ihm natürlich nicht aufgefallen, dass die Mädchen jedes Wochenende und ganze Ferienwochen nicht zu Hause waren.«
»Natürlich wusste er das. Er war jedes Mal dabei, wenn die Mädchen abgeholt und zurückgebracht wurden.«
Jetzt geht es mir so wie ihm mit dem Einholen und dem Plunder. Ich verstehe überhaupt nichts mehr.
»Herr Prönsfeldt wollte seinen Töchtern eine gute Ausbildung mitgeben«, fährt Marcel fort. »Er hat geglaubt, sie würden an den Wochenenden in einem strengen Kölner Musikinternat wohnen. Wo ihre Stimmen ausgebildet werden sollten. Die beiden können offenbar sehr gut singen …«
Aber nicht im Hallschlager Kirchenchor, erinnere ich mich an einen erlauschten Moment.
»Dieser autoritäre Mann würde seine Töchter doch nie einem Verein überlassen, den er nicht selbst …«
»Geschenkt, Katja. Natürlich hat er sich im Vorfeld informiert, die Schule besucht und mit den Lehrern gesprochen. Da gab es vor allem einen, der auf Disziplin genauso viel Wert zu legen schien wie er selbst. Bei dem, glaubte er, wären seine Kinder besonders gut aufgehoben. Das war der Schweinekerl, mit dem alles angefangen hat. Der hat ihm regelmäßig schriftliche Berichte über die Fortschritte der Gesangskünste zugeschickt.«
»Und dieser Mann hieß zufällig Reinhold Wirzig?«, frage ich atemlos.
19_KÄLTE
Dienstagabend
»Leider nicht«, antwortet Marcel. »Obwohl wir den Mord an Wirzig endlich in einen Zusammenhang mit dem an Steffen Meier bringen können: Wir haben auf dem Beifahrersitz des Geländewagens DNS von Meier gefunden. Was vermutlich bedeutet, dass er Pias Freund an dessen Todestag auf die Kehr gefahren hat.«
»Und ihn umgebracht hat!«, rufe ich.
Am Nebentisch ist es plötzlich sehr still geworden.
»Lass uns rübergehen«, flüstere ich Marcel zu. »Da können wir ungestört reden. Bleib heute Nacht bei mir.«
Marcel zögert.
»Ich habe ein sehr weiches Bett«, sage ich und denke an meine morgigen Rückenschmerzen.
»Ich würde auch auf Beton bei dir schlafen, Katja, das ist es nicht«, erwidert er. »Aber du hast eben etwas gesagt, das ich gern so schnell wie möglich überprüfen möchte.«
Er steht auf. Ich folge seinem Beispiel. Ohne weiteren Abschied nicken
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