Kehraus fuer eine Leiche
hatten sie einen anderen Fahrer. Steffen Meier.«
»Der mit Reinhold Wirzig hierherkam«, flüstere ich. »Das ist doch kein Zufall.«
»Nein. Der Meier hatte sich am Sonntag tatsächlich mit Pia verabredet. In der Kapelle auf der Kehr. Wir haben den gesamten E-Mail-Wechsel ausgewertet. Aber Pia ist nicht hingegangen. Sie hat sich um ein krankes Pferd gekümmert.«
»Das kann nicht stimmen!«, sage ich heftig. »Pia hätte Steffen nie und nimmer versetzt! Die wäre mit fliegenden Fahnen zu ihm hingelaufen.«
Wieder bringe ich meinen Lieblingstäter Herrn Pee ins Spiel. Der muss erst Steffens letzte E-Mail an Pia, dann ihn selbst in der Kapelle abgefangen und daraufhin bei Eiterbach umgebracht haben.
»Da müsste der Mann schon die Fähigkeit besitzen, an zwei Orten gleichzeitig zu erscheinen«, sagt Marcel müde, stellt die Kaffeetasse ab und erhebt sich. »Sein Alibi in Ormont steht.«
»Zeugen können sich irren«, sage ich und zupfe ihn am Hemdärmel. »Deswegen sind die Pees nach Deutschland gezogen. Weil dem Mann die Sache zu heiß geworden ist. Deswegen steht kein Namensschild am Gnadenhof. Damit die Kinderschänder die Mädchen nicht finden! Deswegen hält sie der Vater auch an einer so kurzen Leine. Deswegen lässt er niemanden direkt auf den Hof – passt doch alles ins Bild.«
»Mein Gefühl sagt mir, dass etwas anderes noch besser passen könnte. Was du vorhin gesagt hast.«
Er zieht seine Jacke über.
»Was habe ich denn gesagt?«, frage ich verloren, als ich ihm in den Flur folge. Am liebsten würde ich ihn anflehen, hierzubleiben. Aber ich habe meinen Stolz. Und er hat keinen Alkohol getrunken.
»Dass Petra Prönsfeldt nicht aus der Eifel kommt.«
»Ach?«, gebe ich überrascht zurück. »Eben hast du dich doch noch über meine Ansicht amüsiert. Dass diese Fremde nicht von hier ist. Woher der plötzliche Sinneswandel? Hat meine Xenophobie in deiner deutschsprachig-belgischen Seele etwa eine Saite zum Klingen gebracht?«
Als ob ich ihn mit meinem Sarkasmus zum Bleiben anregen könnte. Den letzten Satz hätte ich herunterschlucken sollen. Ich habe mir doch vorgenommen, nie wieder im Streit von ihm zu scheiden. Der nächste Bunker ist schließlich nicht fern.
»Nein«, antwortet Marcel abwesend. Sein Blick scheint angestrengt nach innen gerichtet zu sein. Ich atme erleichtert aus. Der Mann hat mir zum Glück überhaupt nicht zugehört.
»Irgendwas war an ihrem Geburtsort tatsächlich auffällig. Der ist in den Dossiers noch einmal irgendwo aufgetaucht. Es klang komisch. Nicht verdächtig, aber da war was.«
Er nimmt mich in den Arm.
»Vielleicht hast du recht. Vielleicht habe ich da etwas übersehen. Etwas, was wirklich wichtig ist.«
Ein Zittern fährt durch seinen Körper. Ohne mir einen Kuss zu geben, lässt er mich los. Sieht mich sehr ernst an. Ich hebe die Augenbrauen und warte auf weitere polizeiliche Enthüllungen.
»Ich muss besoffen sein«, sagt er.
»Leider nicht«, entgegne ich verblüfft.
»Weil ich etwas wirklich Wichtiges übersehen habe. Aber das liegt an dir, Katja.«
»Wieder etwas, was ich gesagt habe?«
»Nein, etwas, was du nicht gesagt hast. Du hast nichts über deine Todesangst im Bunker gesagt, nicht gejammert, niemanden angeklagt. Nicht mal Pia. Du hast dir Sorgen um sie gemacht, hast Witze gerissen und uns alle beruhigt. Und ich habe nicht weiter nachgefragt. Mich nur gewundert, wie zäh du doch bist. Dabei warst du lebendig begraben. So etwas hinterlässt Spuren. Ich habe dich nicht nur vorher allein gelassen. Auch hinterher.«
Er zieht seine Jacke aus.
»Die Dossiers können bis morgen früh warten. Ich könnte mich ohrfeigen, Katja. Vielleicht kriegst du einen verspäteten Schock. Oder Albträume. Da will ich bei dir sein. Ich lasse dich heute Nacht nicht allein.«
»Danke«, seufze ich erleichtert. Weil ich es nicht noch dramatischer machen will, setze ich hinzu: »Ob wir uns nach all der Aufregung an ein Schlückchen heranwagen dürfen? Single Malt? Was meinst du, Marcel? Auch wenn wir morgen ziemlich früh rausmüssen?«
Ich will ihn an der Hand ins Wohnzimmer ziehen. Doch der belgische Polizeiinspektor bleibt mit offenem Mund wie angewurzelt stehen. Sein Gesicht ist starr geworden. Dann bewegen sich seine Lippen. Verwundert lese ich so etwas wie Schlückchen wagen . Und frage mich, was ich mit dieser unschuldigen Formulierung, diesem Angebot, schon wieder losgetreten habe.
»Jetzt fällt’s mir ein!«, bringt Marcel schließlich atemlos hervor.
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