Kehraus fuer eine Leiche
auseinandergefaltet und schiebt leise den Stuhl zurück.
»Nein!« Patti reißt mir das Handy aus der Hand.
»Kein Geständnis! Herr Polizist? Sind Sie dran? Hier ist die Patrizia Prönsfeldt. Ich will jetzt alles sagen. Was wirklich war. Setz dich sofort wieder hin!«, schnauzt sie ihre Mutter an.
Die entlässt einen Piepslaut und sackt wieder auf ihrem Stuhl zusammen.
»Nein, natürlich nicht, das war meine Mutter«, sagt Patti ungeduldig ins Telefon. Sie hört einen Augenblick lang zu.
»Der Steffen?«, fragt sie und verdreht die Augen. »Nein, der hat damit nichts zu tun. Es geht um die Pia und um mich. Wie das alles angefangen hat. Mit den Männern in Köln und so. Sie wissen schon. Nein, ich will nicht warten, bis Sie kommen. Ich werde jetzt reden.«
Ohne das Messer loszulassen, legt sie das Handy auf den Tisch. Sie setzt sich direkt davor hin, holt tief Luft und fängt ganz unvermittelt an: »Der Musiklehrer hieß Onkel Dieter. Die Pia war elf und ich war zwölf. Er war unser erster Mann. Der Mann unserer Tante.«
Sie sieht zu ihrer Mutter hin. Die hat das Gesicht wieder in den Rahmen ihrer Arme gepresst. Pattis Blick wandert zu mir. Wie zum Schlachtengruß reckt sie das lange Messer in die Höhe, lässt es dann in Zeitlupe auf Petra Prönsfeldts Hinterkopf sinken. Ich bewege mich nicht. Bin vom lauernden Blick einer Raubkatze fixiert. Wenn du dich rührst, ist sie tot, sagen ihre grauen Augen. Ich lasse mich bannen. Wissend, wie viel schneller als ich das Mädchen ist. Die Schneide verharrt oberhalb des nachlässig toupierten Haarschopfs. Dem sich Patti jetzt mit bitterem Lächeln zuwendet. Langsam taucht sie die Messerspitze in das blondierte Vogelnest, zerteilt mit seltsam zärtlichen Stichen das struppige Wirrwarr. So, als wolle sie ihrer Mutter die Haare schmerzfrei glätten. Petra Prönsfeldt bleibt still sitzen, gibt keinen Mucks von sich, nicht einmal, als kalter Stahl ihre Kopfhaut berührt.
Sie schreckt erst hoch, als Patti das Messer auf den Küchenboden schleudert und in das Klirren hineinbrüllt: »Der Mann von deiner Schwester Sabine! Ich hasse dich, Mutter!«
25_GESTÄNDNISSE
Donnerstagmorgen
Der Ton kommt aus weiter Ferne, hallt in meinem Traum nach und streichelt mir beim Wachwerden die Ohren. Ich setze mich erfreut auf: Mein Kuckuck vom Vorjahr meldet sich zurück.
Linus hat den Ruf auch wahrgenommen. Anstatt sich auf mein Bett zu stürzen, richtet er sich an der Fensterbank auf, blickt hinaus in Belgiens Weite und begrüßt bellend den Neuankömmling im Holunderbusch.
»Still, Linus«, weise ich meinen Hund zurecht. »Wir haben einen Gast, der ausschlafen muss. Der einen sehr anstrengenden Tag hinter sich und einen mindestens so schlimmen vor sich hat.«
Der Hund stellt das Bellen tatsächlich ein und springt aufs Bett. Was ich bei anderen Menschen früher immer eklig gefunden habe, tut mir jetzt gut. Ich kuschele mich an das Tier und kraule ihm den Hals. Dabei sehe ich es. Oder besser gesagt, ich sehe es nicht: Das einzahnige blinzelnde Krokodil auf meiner Hand ist verschwunden. Spurlos. Über Nacht. Ich greife zu meiner Lesebrille auf dem Nachttisch, setze sie auf und halte mir die rechte Hand dicht vor die Augen. Nicht einmal der Hauch einer Rötung. Also kann es kein Brandmal gewesen sein, sagt mein Verstand; sondern wahrscheinlich eine Art von Ekzem, eine allergische Reaktion. Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass die Haut auf psychische Probleme oder auf Traumata seltsam reagieren kann.
Traurig streichele ich die Stelle, an der sich das Krokodil vom Handrücken gemacht hat. Jetzt, da ich seine Botschaft verstanden habe und mich mit ihm anfreunden wollte.
Ich rücke noch näher an meinen anderen vierbeinigen Freund heran und höre dem Vogel draußen zu. So könnte jeder Tag anfangen.
Nein, ich werde den Kuckuck nicht laut fragen, wie lange ich noch zu leben habe, aber es kann ja nicht schaden, mit dem Zählen schon mal anzufangen. Als ich bei einem Alter angekommen bin, in dem ich Methusalem schon weit hinter mir gelassen habe, und der Vogel immer noch ruft, beschließe ich, dass irgendwann Schluss sein muss, und gehe auf Zehenspitzen ins Bad.
Die Geldbörse auf dem Flurschränkchen strafe ich mit Missachtung. Ein abergläubischer Mensch würde beim Kuckucksruf draufklopfen, damit das Portemonnaie das ganze Jahr über nicht leer wird. Was aber, wenn es schon leer ist, wie meins jetzt? Muss ich mich dann das ganze Jahr über mit Ebbe in der Kasse abfinden?
Es ist
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