Kehraus fuer eine Leiche
Verdacht etwas dran wäre?
»Raus!«, schreit Petra Prönsfeldt. Ein zitternder Zeigefinger weist mir den Weg.
Ich bleibe sitzen. Ihre Reaktion ermutigt mich. Vielleicht bin ich doch auf der richtigen Spur. Ich ignoriere die plötzliche Juckreizwarnung und fahre fort: »Sie kannten den Musiklehrer. Er kam aus Hückeswagen, wie Sie auch. Kaltblütig haben Sie Ihre Töchter diesem Mädchenhändler ausgeliefert.«
Sie stemmt die Hände auf den Küchentisch.
»Habe ich nicht!«, faucht sie mich an. »Ich kenne den Mann überhaupt nicht. Die Mädchen haben das alles ganz alleine gemacht! Die sind durch und durch verdorben!«
»Du lügst!«
Mit blitzenden Augen springt Patti in die Küche.
Petra Prönsfeldt weicht bis an den Herd zurück.
»Sei still!«, fährt sie ihre Tochter an. »Du weißt, was sonst passiert!«
»Ist mir egal! Frau Klein soll es wissen. Ihr Polizistenfreund soll es wissen. Alle sollen es wissen!«
Sie reißt eine Schublade auf. In der habe ich am Montag die vielen Messer gesehen. So schnell bin ich noch nie von einem Stuhl hochgeschossen. Donnernd fällt er hinter mir zu Boden.
»Nein, Patti!«, rufe ich. Doch ich bin zu langsam. Patti hält ein breites Fleischermesser in der Hand und uns mit ihm auf Abstand.
»Setzt euch!«, befiehlt sie und weist mit blitzender Klinge zum Tisch hin. Ich gehorche. Petra Prönsfeldt rührt sich nicht vom Fleck.
»Es war vor fünf Jahren«, sagt Patti leise. »Da sind wir in Köln in den Zoo gegangen. Es war ein sehr schöner Tag. Als alles anfing. Setz dich wieder hin, Mutter, das wird jetzt dauern. Aber ich muss endlich reden. All die Lügen machen mich fertig. Haben die Pia fertiggemacht. Damit ist jetzt Schluss. Ich will nicht mehr lügen.«
Sie wirft einen Blick zum Fenster hin. Als würde die erlösende Wahrheit gleich hereinfliegen.
Unauffällig ziehe ich mein Handy aus der Jackentasche und versuche unterm Tisch, eine SMS an Marcel zu schicken. Vergeblich. Meine zitternden Finger begreifen die Tasten nicht. Zum ersten Mal beneide ich die jungen Leute, die auf diesen Winzdingern blind herumtippen können wie ich früher auf der Schreibmaschine. Ich wage einen kurzen Blick nach unten.
Der Patti nicht entgeht. Sie begreift sofort.
»Rufen Sie ihn ruhig an«, fordert sie mich auf.
Ich hebe den Kopf. Patti hat einen Arm um die Schultern ihrer Mutter geschlungen. Was sehr fürsorglich aussähe, wenn sie ihr mit der anderen Hand nicht das Messer an den Hals gelegt hätte.
»Ich will dich nicht verletzen«, sagt sie freundlich. »Ich will nur, dass du dich endlich hinsetzt. Und mir zuhörst. Die Wahrheit hörst. Weil du sie vergessen hast.«
Wie eine uralte gramgebeugte Frau lässt sich Petra Prönsfeldt von ihrer Tochter an den Tisch führen. Mit der freien Hand schiebt ihr Patti den Stuhl hin. Auf dem Frau Pee wie ein Soufflé zusammenfällt.
Patti stellt sich mir gegenüber ans andere Kopfende.
»Rufen Sie Ihren Freund an«, sagt sie. »Legen Sie Ihr Handy so auf den Tisch, dass er alles hört. Damit ich das nicht noch mal erzählen muss.«
Petra Prönsfeldts Stuhl kreischt, als sie ihn ganz nah an den Tisch heranzieht. Sie verschränkt die Arme auf der Platte und lässt ihren Kopf in die Kuhle fallen, als wolle sie ein Nickerchen machen. Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Die gleiche Affenhaltung, die als Motto über den vergangenen fünf Jahren der Familie Prönsfeldt stehen dürfte, wenn ich alles richtig eingeordnet habe.
»Was soll ich ihm sagen?«, frage ich, als ich Marcels Nummer anklicke.
»Die Wahrheit«, antwortet Patti. Es klingt belustigt.
Der belgische Polizeiinspektor meldet sich gleich nach dem ersten Klingeln. Er überschüttet mich mit allen möglichen Fragen: »Ist alles in Ordnung? Wo bist du? Wie geht’s dir? Katja, sag doch was!«
»Wo bist du?«
»Im Auto. Auf dem Weg zu dir. Was ist los? Wo bist du?«
»Wo genau steckst du?«
»Fahre gerade durch Schönberg. Und du? Wo bist du?«
Ich blicke zu Patti und sage: »Er kann in einer Viertelstunde hier sein.«
Sie schüttelt den Kopf.
»Dauert zu lang«, sage ich ins Handy. »Fahr an den Rand, Marcel, und hör gut zu!«
»Oh Gott, was ist passiert?« Ich höre, wie er ordentlich Gas gibt. »Wo steckst du, zum Teufel?«
»In seiner Küche. In Teufels Küche, wenn du es genau wissen willst. Auf dem Gnadenhof. Es geht mir gut. Patti will jetzt ein Geständnis ablegen …«
Aus den Augenwinkeln sehe ich Petra Prönsfeldt. Zur Flucht bereit. Sie hat sich schon
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