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Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Titel: Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Ich erblickte hierin zugleich ein Ziel und eine Beschäftigung, nicht zu reden von dem köstlichen Genuß, den das Vergnügen, im kleinen die Rolle der Vorsehung zu spielen, gewährt.
    »Und heute spielen Sie sie im großen Stil?...« fragte Gottfried lebhaft.
    »Oh, Sie wollen alles wissen?« sagte der Alte; »ach nein. Würden Sie es glauben? ...« fuhr er nach einer Pause fort, »die Geringfügigkeit der Mittel, über die ich bei meinem kleinen Vermögen verfügen konnte, lenkte meine Gedanken wieder häufig auf Mongenod. Ohne Mongenod, sagte ich mir, hätte ich viel mehr tun können. Wenn ein schlechter Mensch mir nicht fünfzehnhundert Franken Rente weggenommen hätte, dachte ich oft, so würde ich manche Familie retten können. Indem ich also meine Ohnmacht durch eine Anklage entschuldigte, verwünschten diejenigen, denen ich nur Worte als Trost, schenken konnte, Mongenod mit mir zusammen. Diese Verwünschungen erleichterten mir das Herz. Eines Morgens, im Januar 1816, meldet mir meine Wirtschafterin ... wen? Mongenod! Herrn Mongenod! Und wer erscheint? ... Die schöne, jetzt sechsunddreißig Jahre alte Dame, begleitet von drei Kindern; dann Mongenod, jünger aussehend als bei seiner Abreise; denn Reichtum und Glück breiten einen Strahlenkranz um ihre Günstlinge. Mager, bleich, gelb, eingetrocknet war er abgereist, und stark, wohlgenährt, blühend wie ein Stiftsherr, gut gekleidet, kehrte er zurück. Er warf sich in meine Arme, und als er bemerkte, daß ich ihn kühl empfing, waren seine ersten Worte: ›Konnte ich früher kommen, lieber Freund? Die Meere sind erst seit 1815 wieder frei, ich brauchte auch anderthalb Jahre, um mein Vermögen flüssig zu machen, meine Rechnungen abzuschließen und ausstehende Gelder einzuziehen. Ich habe Erfolg gehabt, mein Lieber! Als ich deinen Brief erhielt, im Jahre 1806, bin ich mit einem holländischen Schiffe abgefahren, um dir selbst mein kleines Vermögen zu bringen; aber infolge der Vereinigung Hollands mit dem französischen Kaiserreich haben mich die Engländer abgefangen und nach Jamaika transportiert, von wo ich nur durch einen Zufall entwichen bin. Nach New York zurückgekehrt, wurde ich das Opfer von Fallissements, denn wahrend meiner Abwesenheit vermochte die arme Charlotte sich nicht vor Betrügern zu schützen. Ich war also gezwungen, mein Vermögen von neuem aufzubauen. Aber nun sind wir endlich wieder daheim. An der Art, wie meine Kinder dich anschauen, wirst du wohl merken, daß man ihnen häufig von dem Wohltäter der Familie erzählt hat! ›O ja, mein Herr,‹ sagte die schöne Frau Mongenod, ›es ist kein Tag vergangen, an dem wir nicht Ihrer gedacht hätten. Bei allen Geschäften ist Ihr Anteil beiseite gelegt worden. Alle haben wir den beglückenden Augenblick herbeigesehnt, an dem wir Ihnen ein Vermögen anbieten können, ohne daß wir etwa glauben, dieser ›Zehnte‹ könne jemals unsere schuldige Dankbarkeit wettmachen.‹ Nach diesen Worten überreichte mir Frau Mongenod die herrliche Kassette, die Sie hier sehen, in der sich hundertfünfzig Scheine zu tausend Franken befanden. – ›Du hast viel gelitten, mein armer Alain, ich weiß es, aber wir ahnten deine Leiden und erschöpften uns in Plänen, wie wir das Geld dir übermitteln sollten, ohne daß es uns gelungen wäre,‹ fuhr Mongenod fort. ›Du hast dich nicht verheiraten können, wie du mir gesagt hast; aber hier steht unsere älteste Tochter, sie ist in dem Gedanken erzogen worden, daß sie deine Frau werden soll, und sie besitzt eine Mitgift von fünfhunderttausend Franken ...‹ ›Gott behüte mich davor, daß ich sie unglücklich mache,‹ rief ich schnell aus und betrachtete das junge Mädchen, das ebenso schön war wie seine Mutter in ihrem Alter; und ich zog sie an mich und küßte sie auf die Stirn. ›Haben Sie keine Furcht, mein schönes Kind,‹ sagte ich zu ihr. ›Ein Mann von fünfzig Jahren und ein Mädchen von siebzehn! Und ein so häßlicher Mensch, wie ich, nein, niemals!‹ ›Mein Herr,‹ sagte sie, ›der Wohltäter meines Vaters wird in meinen Augen niemals häßlich sein.‹ Diese mit ehrlicher Freimütigkeit gesprochenen Worte ließen mich erkennen, daß alles, was Mongenod berichtet hatte, wahr war; ich reichte ihm die Hand, und wir umarmten uns nochmals. ›Mein lieber Freund,‹ sagte ich, ›ich habe dir unrecht getan, denn ich habe dich oft angeklagt und verwünscht...‹ ›Das mußtest du auch, Alain‹, entgegnete er mir errötend; ›du littest, und

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