Kein Augenblick zu früh (German Edition)
einem Fluchtweg? Oder schätzte er unsere Chancen ab, lebend hier herauszukommen? Allmählich kamen mir Zweifel, ob dieser Besuch eine gute Idee gewesen war. Und ob es sonderlich klug war, etwas aus der Flasche zu trinken, die der Mafioso nun auf den Tisch stellte. Soweit ich sehen konnte, schwamm unten in der Flasche so etwas wie ein verschrumpelter Wurm herum.
Aber Alex setzte sich an den Tisch und ich tat es ihm nach. Die drei Schlägertypen standen so dicht hinter uns, dass ich ihre Körperdünste roch. Alle drei waren bewaffnet, zwei mit Knarren, der dritte mit einem Messer, das fast so groß wie ein Schwert war. Der Weg zurück war uns jedenfalls versperrt. Zwar gab es noch eine weitere Tür an der Wand direkt hinter dem Tisch, aber sie war zu und möglicherweise auch verschlossen. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, dass in diesem Raum eine Menge fragwürdiger Geschäfte ausgeheckt wurden. Als ich vor uns auf dem Tisch ein paar Alufolienschnipsel und eine kleine Waage entdeckte, fiel es mir auch nicht schwer zu erraten, womit hier gehandelt wurde. Ganz von selbst tappte mein Fuß nervös auf den Boden. Ich presste die Hände auf die Schenkel und bemühte mich, ruhig zu bleiben.
Der Mann am Tisch schüttete den Inhalt der Flasche in drei schmierige Schnapsgläser und schob zwei davon zu uns herüber. Ich warf einen Seitenblick auf Alex – er wirkte zwar immer noch gelassen und unbekümmert, aber seine schmalen Lippen zeigten mir, dass er innerlich angespannt war.
»¡Salud!« , sagte der Mann, kippte den Inhalt des Glases in den Mund und stellte das Glas krachend auf den Tisch zurück. Er ließ mich keine Sekunde aus den Augen; sein lüsterner Blick schickte mir eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken. Alex hob ebenfalls das Glas und leerte es in einem Zug, ohne seinerseits den Blick von dem Mann zu lassen.
»Und du?«, fragte mich der Mann und deutete mit dem Kinn auf mein Glas. »Wie heißt du eigentlich, Señorita ?«
»Lila«, sagte ich mit einem unsicheren Seitenblick auf Alex. Durfte ich meinen richtigen Namen überhaupt verraten?
»Und warum trinkst du nicht mit uns, Lila?«, fragte der Mann und nickte noch einmal auf mein übervolles Glas hinunter.
Musste man hier irgendwelche Benimmregeln beachten? »Äh – ich steh nicht auf Alkohol«, sagte ich lahm.
»Ich denke aber, du solltest es austrinken«, beharrte er.
Das war eindeutig ein Befehl. Ich zögerte, aber dann fielen mir die Typen hinter uns wieder ein und ich kippte das Zeug in die Kehle. Oh, wie es brannte! Ich keuchte und hustete.
Der Mann lachte, während ich mühsam nach Luft schnappte. »Ich heiße Carlos«, sagte er.
Na prima. Jetzt war ich mit einem Mafiaboss per Du und trank Tequila zur Verbrüderung. Dad würde glatt durchdrehen, wenn er das wüsste.
»Also – ihr wollt Pässe?«
»Ja«, sagte Alex.
Carlos grunzte und wandte sich an mich. »Du läufst doch nicht etwa vor irgendwas davon, Lila?«
Ich hielt seinem Blick stand. »Jetzt nicht mehr.« Ein verblüffter Ausdruck huschte über sein Gesicht, dann hatte er sein Pokerface wieder unter Kontrolle.
»Zehntausend Dollar«, sagte Carlos zu Alex. »In bar, sofort hier auf den Tisch.«
»Fünf jetzt, die andere Hälfte nach Lieferung«, erwiderte Alex kühl.
Carlos betrachtete ihn abschätzend, während ich mich am Stuhl festklammerte und Alex still anflehte, den vollen Preis sofort auf den Tisch zu werfen, damit wir verschwinden konnten, solange wir noch alle Körperteile beieinander hatten.
Carlos lachte leise vor sich hin. »Für einen gringo bist du ganz schön frech. Okay, sí , jetzt die Hälfte, den Rest zahlst du später.« Lässig zündete er eine Zigarette an und inhalierte tief, während sein Blick zu mir zurückglitt.
»Wie lang dauert es?«, wollte Alex wissen.
»Ich nehme an, du willst Expresslieferung – sagen wir mal, vierundzwanzig Stunden. Habt ihr Fotos dabei? Namen könnt ihr nicht aussuchen, ihr müsst die Namen nehmen, die wir auf Lager haben, aber es werden amerikanische Pässe sein. Wirklich sauber. Ihr werdet keine Probleme damit bekommen.«
Alex griff in seine Gesäßtasche und zog einen Umschlag heraus. Darin befanden sich die Passfotos, die wir erst vor ein paar Stunden in einer Metrostation gemacht hatten. Er zählte fünftausend Dollar ab und legte sie auf den Tisch. Carlos zählte nach, dann sagte er etwas zu einem seiner Gorillas – dem mit der nackten Schlangenfrau auf der Brust. Der Typ kam zum Tisch, nahm das Geld
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