Kein Augenblick zu früh (German Edition)
nicht belegt zu sein.
Hätte mir jemand noch vor ein paar Wochen prophezeit, dass ich schon bald mit Alex in Mexiko sein würde und dass er lächelnd über einen traumhaften Strand auf mich zukommen würde mit der Nachricht, er habe soeben ein Hotelzimmer für uns gebucht – ich wäre wahrscheinlich vor Aufregung auf der Stelle tot umgefallen. Vermutlich hätte man mich künstlich wiederbeleben müssen, um mich ins Diesseits zurückzuholen. Aber hier war er, stapfte durch den weißen Sand auf mich zu – und er gehörte mir. Und ich war nicht tot umgefallen. Ganz im Gegenteil: Ich fühlte mich sehr, sehr lebendig.
»Leider hatten sie nur Doppelzimmer«, sagte er, als er bei mir ankam. Seine Augen glitzerten in der Sonne.
»Das ist aber gar nicht gut«, sagte ich mit gespielter Verärgerung. »Du wirst in der Hängematte auf der Veranda schlafen müssen.«
»Hab ich mir schon gedacht.« Er nickte grinsend. Er fiel nicht darauf herein – an meinem Pokergesicht musste ich also noch arbeiten.
»Woher kennst du dieses Hotel?«, fragte ich, als wir zu unserem Bungalow schlenderten.
»Meine Eltern haben hier ihre Flitterwochen verbracht und sind jedes Jahr wieder zurückgekehrt. Ich dachte, das Hotel ist perfekt zum Ausruhen und Warten.«
»Wie lange bleiben wir?« So schön es auch war und obwohl es noch vor ein paar Wochen meine sämtlichen Fantasien übertroffen hätte, wollte ich auf keinen Fall zu lange bleiben. Ich musste nach Kalifornien zurück. Ich musste irgendetwas tun, um meine Mutter und Jack zu befreien. Warten zu müssen war die reinste Folter.
»Wir bleiben, bis wir uns einen Plan ausgedacht haben. Und bis Demos auftaucht.«
Alex schien keinerlei Zweifel zu haben, dass uns Demos finden würde. Ich dagegen war überzeugt, dass er uns in Mexico City suchen würde, nicht hier am Strand mitten im Nirgendwo. Natürlich hatte Demos die Unterstützung von Leuten mit besonderen Kräften, um uns aufzuspüren, aber Nate und Key konnten schließlich nicht wie Satelliten um den Globus kreisen, bis sie uns entdeckten, und Suki und Alicia konnten sich nicht in die Gedanken aller möglichen Menschen einloggen, bis sie uns hier am Strand beim Sandburgenbauen oder sonst was ertappten.
Alex wich meinem Blick aus und stieg die Stufen zur Veranda hinauf. »Komm, wir testen mal, wie belastbar die Hängematte ist«, sagte er nur.
Eng aneinandergeschmiegt schaukelten wir in der warmen Luft und redeten leise miteinander, noch lange, nachdem die Sonne im Meer versunken war und die Sterne am Himmel zu funkeln begannen. Die Stimmung war still und friedlich, das genaue Gegenteil der letzten Wochen. Vielleicht litt ich an Halluzinationen. Oder vielleicht hatte es die Einheit doch irgendwann in Mexico City geschafft, mein Gehirn zu rösten. Ich presste die Augen zu und kniff mir in den Arm, um ganz sicherzugehen, dass ich nicht träumte.
»Warum haben sie dieses Ding nicht auf mich abgefeuert?«, fragte ich. »Als wir verfolgt wurden, waren wir ein paarmal ganz klar in Schusslinie, aber sie haben nicht geschossen. Warum nicht?«
»Das frage ich mich auch schon die ganze Zeit«, sagte Alex. »Mir fällt nur eine mögliche Erklärung ein – sie wissen immer noch nicht über dich Bescheid. Natürlich können wir uns nicht darauf verlassen, schon gar nicht nach dem, was im Joshua-Tree-Park geschah. Aber wenn sie gestern nicht auf dich schossen, obwohl sie die beste Gelegenheit dazu hatten, dann kann das nur eins heißen: Sie haben tatsächlich keine Ahnung, dass du eine Psy bist.«
Ich schaute ihn zweifelnd an und stützte mich auf einen Ellbogen. »Aber wenn sie nicht wissen, wer ich bin, warum jagen sie uns dann? Sie haben es auf uns abgesehen, Alex! Warum der ganze Aufwand, uns zu verfolgen?«
Alex verzog das Gesicht, als hätte er Schmerzen. »Ich habe meinen Eid gebrochen, Lila. Ich bin ins Hauptquartier eingebrochen und habe zwei Gefangene entführt.«
»Das waren keine Gefangenen, sondern Geiseln!«, korrigierte ich ihn wütend.
»Die Einheit sieht das anders«, seufzte er. »Außerdem habe ich auf meine eigenen Leute geschossen.«
Ich ließ mich wieder in die Hängematte zurücksinken. Das war nicht fair – schließlich hatten sie Alex gar keine andere Wahl gelassen.
Er küsste mich leicht auf die Stirn, wie um mir zu versichern, dass das alles jetzt keine Rolle mehr spielte – aber so war es nicht. Meinetwegen hatte er das alles getan. Wenn die Leute der Einheit mich fingen, würden sie vermutlich recht
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