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Kein Augenblick zu früh (German Edition)

Kein Augenblick zu früh (German Edition)

Titel: Kein Augenblick zu früh (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Alderson
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Badezimmertür ins Schloss fallen. Es tat gut, endlich wieder üben zu dürfen, wie eine Befreiung. Und ich merkte, dass ich besser wurde. Richtig gut sogar. Es fiel mir immer leichter, meine Kraft zu lenken. Die Begegnung mit Richard Stirling war wie ein Härtetest gewesen. Wenn ich das überstanden hatte, ohne ihn unter dem riesigen Konferenztisch zu zerschmettern oder durch das Panzerglasfenster zu schleudern, dann konnte ich mich wohl darauf verlassen, dass ich meine Kraft auch in jeder anderen Situation im Zaum halten konnte.
    Ich setzte mich auf den Wannenrand. Ein feiner Wasserstrahl fiel von der Dusche auf mein Haar. Plötzlich glaubte ich mir das Meer vorstellen zu können, nur eine Viertelmeile entfernt. Die Wellen schlugen hart gegen die Pfeiler des Piers und würden die Holzbohlen durchbrechen, wenn ich es ihnen befahl. Ich brauchte die Dinge nicht mehr direkt vor mir zu sehen; es reichte, sie mir abstrakt vorzustellen, um sie zu beeinflussen.
    Doch dann schüttelte ich den Kopf. Das war dumm, absolut lächerlich. Sicher, ich konnte Gegenstände versetzen, ohne sie zu berühren, selbst gepanzerte Fahrzeuge. Und ich hatte es geschafft, Menschen zu bewegen, obwohl ich nicht viel Gelegenheit zum Üben gefunden hatte, von Alex und einem fetten mexikanischen Mafioso mal abgesehen. Und schon bildete ich mir ein, ich könnte sogar die Natur manipulieren? Träum weiter, Lila.
    Aber – wenn doch?
    Ich ging zur entferntesten Ecke des Badezimmers. Mit dem Rücken zur Dusche stellte ich mir vor, dass sich der Wasserstrahl umkehrte und gegen die Decke sprühte. Das gleichmäßige Prasseln von Wasser auf Emaille verklang – plötzlich wurde daraus ein unregelmäßiges Plätschern. Ich drehte mich langsam um. Der Duschkopf zeigte unverändert nach unten und die Wasserstrahlen strömten gleichmäßig heraus, aber statt senkrecht hinabzufallen, bogen sie sich, spritzten aufwärts zur Decke und fielen von dort wie ein kleiner Wasserfall in die Wanne zurück.
    Ich schloss die Augen und riss sie wieder auf. Das Wasser entzog sich dem Gesetz der Schwerkraft. Die physikalischen Gesetze – ich hatte sie außer Kraft gesetzt. Hey, Newton, schau mal, was ich kann!
    Mit einem Gedanken änderte ich den Wasserstrahl erneut. Er schoss waagrecht durch den Raum und rauschte gegen das Fenster. Es sah aus wie in einer Autowaschanlage. Ich wich den zurückschnellenden Tropfen aus und sie flossen in einer sanften Kurve um meinen Arm herum, bevor sie in die Badewanne zurückplatschten. Ich warf einen Blick auf die Armatur und der Strahl versiegte. Ein paar Pfützen blieben auf dem Boden zurück. Ich musste mich setzen.
    Heilige Scheiße.
    Sorry, aber für so was gibt’s keinen besseren Ausdruck. Heilige. Scheiße.

28
    Als ich wieder in die Intensivstation kam, stand Dr. Roberts vor dem Zimmer der Krankenschwestern. Er plauderte mit der Schwester, die in der Kantine bei ihm am Tisch gesessen hatte. So wie sie kicherte und ihm die Hand auf den Arm legte, hätte ich schwören können, dass sie den lieben Onkel Doktor ganz gern auch an anderen Stellen begrapscht hätte. Bei meinem Anblick runzelte sie gereizt die Stirn.
    »Hi«, sagte ich.
    »Hi. Sie kommen ziemlich spät«, antwortete Dr. Roberts. »Die Besuchszeit ist längst vorbei.«
    Wusste ich, schließlich war es nach Mitternacht. Ich hatte mich in einem der Bewachungsautos vor Jacks Haus zum Camp zurückfahren lassen. Ich wollte Jack unbedingt sehen.
    »Kann ich noch schnell hineinschauen?« Ich lächelte ihn bittend an.
    Der Arzt nickte und lächelte zurück. »Gut, aber nicht lange. Höchstens eine Viertelstunde, okay?«
    »Danke.« Schon lief ich den Korridor entlang.
    Den Wärter, der wie eine Statue vor Jacks Zimmertür stand, bedachte ich mit einem so energischen Blick, dass er mir wortlos aus dem Weg trat. Schnell schloss ich die Tür hinter mir. Und erstarrte.
    Das Bett war leer. Erschrocken betrachtete ich das zerwühlte Bettzeug und den lose herabbaumelnden Infusionsschlauch, aus dem etwas auf den Boden tropfte. Das Beatmungsgerät summte nicht mehr. Auch der links vom Bett stehende Monitor gab keinen Laut von sich und zeigte eine durchgehende, gerade Linie an. Langsam drehte ich mich um, wagte kaum zu atmen. Meine Knie zitterten.
    Das Zimmer war vollkommen leer. Sie hatten ihn weggebracht. Sie hatten ihn gefangen genommen. Meine Knie gaben nach. Doch mit einem Mal stieg ein erster Zweifel in mir auf. Warum stand dann noch ein Wächter vor der Tür?
    Plötzlich

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