Kein Augenblick zu früh (German Edition)
hörte ich ein Geräusch. Ich wirbelte instinktiv herum und im nächsten Moment schleuderte ich schon die Vase vom Nachttisch auf die Badezimmertür. Kurz bevor sie gegen Jacks Kopf krachte, schaffte ich es, ihren Flug zu bremsen. Jack duckte sich blitzschnell, dann starrte er das vor ihm in der Luft schwebende Kristallgefäß mit dem Blumenstrauß darin fassungslos an. Schließlich hob er vorwurfsvoll eine Augenbraue, als wollte er sagen: Versuchst du jetzt auch, mich umzubringen?
Ich war mindestens genauso fassungslos. Ohne Krücken, ohne Stützen stand er, nur mit Boxershorts bekleidet, vor mir und sah aus, als hätte er die letzten zehn Tage in einem Spa und nicht im Koma verbracht. Wie war das möglich? Der Arzt hatte von möglicher Lähmung, von einem Rollstuhl und Physiotherapie gesprochen – und da war Jack und spazierte herum, als wollte er sich für einen Marathonlauf aufwärmen. Mein Blick glitt zu seinem Bauch, zu der Stelle, an der er von der Kugel getroffen worden war.
Da war nichts. Kein Verband. Keine Wunde. Nichts. Nur glatte, makellose Haut.
Das gab mir den Rest. Die Vase fiel zu Boden. Jack reagierte blitzschnell und fing sie auf, bevor sie in tausend Scherben zersplittern konnte. Warnend deutete er auf die Tür, hinter der der Wärter lauerte.
Aber ich konnte den Blick nicht von seinem Bauch abwenden. Wo ein großes Loch hätte sein sollen oder zumindest doch die blutroten Ränder einer langsam verheilenden Wunde, war nichts als glatte Haut.
Endlich kehrte meine Stimme zurück. »Was zum …«
Jack hob sofort den Finger an die Lippen. »Wanzen«, deutete er mit den Lippen an, »Wärter.« Er stellte die Vase auf den Fenstersims.
»Du bist angeschossen worden!«, sagte ich nur durch Lippensprache. »Jack! Du. Wurdest. Angeschossen. Wo ist das Loch?« Und um die Sache ganz klarzumachen, deutete ich auf seinen Bauch und zeichnete ein riesiges Loch in die Luft. Schließlich hatte ich mit eigenen Augen gesehen, wie ihn die Kugel erwischt hatte, wie das Blut aus ihm herausgeschossen war, wie er im Wüstensand in die Knie gegangen und zusammengebrochen war. Hatte ich mir das alles nur eingebildet? Unmöglich. Also: Wo zum Teufel war das Einschussloch?
Jack betastete die Stelle, an der die Kugel eingedrungen war, und blickte mich an. Er wirkte mindestens so verwirrt wie ich selbst. Dann packte er plötzlich meine Hand und zog mich ins Badezimmer, schloss die Tür hinter uns und drehte den Wasserhahn voll auf. Ich hatte natürlich die Wanze entfernt, die ich mal wieder in meiner Jeans gefunden hatte; sie steckte jetzt zwischen den Rücksitzpolstern des Wagens, mit dem ich zum Krankenhaus gefahren worden war. Das würde hoffentlich so wirken, als sei der Sender zufällig herausgerutscht. Ich setzte mich auf den WC -Deckel. Jack kniete vor mir nieder.
»Was zum Henker ist eigentlich los?«, flüsterte er.
»Das will ich ja gerade von dir wissen! Du bist angeschossen worden. Wieso läufst du plötzlich wieder herum?« Immer noch konnte ich den Blick nicht von seinem Bauch lösen.
Er ging nicht darauf ein. »Was ist mit dir? Wo ist Alex?«, wollte er wissen. »Konntet ihr nicht fliehen?«
»Doch. Aber wir sind wieder zurückgekommen. Alex ist in der Nähe. Er kann nicht aufs Campgelände, die Einheit ist hinter ihm her. Ihr seid beide ziemlich in Ungnade gefallen.«
Jack runzelte die Stirn. Dann stieß er hervor: »Wie lange war ich bewusstlos?«
»Fast zwei Wochen.«
Verwirrt strich er über seinen Bauch. »Nur zwei Wochen?« Dann schien ihm plötzlich ein anderer Gedanke zu kommen. »Wieso bist du hier?«, fragte er vorwurfsvoll.
»Wegen dir, du Idiot! Und wegen Mum!«, brauste ich auf.
»Alex hätte dich wegbringen sollen! Was, verdammt, hat sich dieser Idiot denn gedacht?«
»Entschuldige, aber ich treffe meine Entscheidungen selbst! Alex hat mir nichts zu sagen. Und du auch nicht. Es war meine Idee. Die anderen kommen auch noch.«
»Die anderen?«
»Ja. Demos und alle anderen. Wir holen dich und Mum hier raus.«
Er knirschte mit den Zähnen, wie immer, wenn ihm etwas nicht passte. Aber ich war nicht sicher, ob der Gedanke an Mum schuld war oder weil ich Demos’ Namen erwähnt hatte. Natürlich hatte er nicht viel Zeit gehabt, die ganzen Neuigkeiten über Mum und Demos zu verarbeiten, bevor er mit einer Kugel im Bauch im Wüstensand gelandet war.
»Die anderen sind in Washington«, fuhr ich fort. »Wir haben einen Plan entwickelt. Ziemlich kompliziert, ich hab jetzt keine Zeit,
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