Kein Augenblick zu früh (German Edition)
ruhig.
Ich ließ mich an Alex’ Brust zurücksinken. War alles umsonst gewesen? War Stirling wirklich straflos davongekommen?
»Wir haben Stirling Enterprises einen schweren Schlag versetzt«, sagte Alex nach langem, brütendem Schweigen. »Selbst wenn Stirling bei dem Feuer nicht umgekommen ist, wird er sich davon nie mehr erholen. Seine eigene Firma wird ihn nicht mehr haben wollen. Er hat alles verloren. Die Polizei wird ihn irgendwann erwischen. Wohin kann er schon gehen? Er ist in allen Nachrichten. Presse, Fernsehen, überall zeigen sie sein Fahndungsfoto.«
Niemand sagte etwas. Demos betrachtete uns alle nacheinander, dann stand er auf und verließ wortlos die Kabine. Betroffen schaute ich ihm nach. Jemand sollte sich um ihn kümmern.
»Wo ist Alicia?«, fragte ich.
»Weg«, antwortete Amber leise. Sie saß auf dem Boden, direkt neben Jacks Beinen.
»Aber … warum?«
Amber schaute mich nur bedeutungsvoll an.
Oh. Demos und Mum. Nicht nur das, was Alicia in der Halle beobachtet hatte. Vielleicht hatte sie noch sehr viel mehr in Demos’ Gedanken und Gefühlen gehört und gespürt. Sogar ich hatte was bemerkt, obwohl ich nicht die Gedanken anderer Menschen hören konnte. Ohne jeden Zweifel: Demos liebte sie immer noch.
»Lila? Jack?« Dad stand in der Tür. Er wirkte verändert, das schiere Leben leuchtete in seinen Augen.
»Eure Mutter ist aufgewacht. Kommt ihr?«
Ich war schon aufgesprungen, meine Beine zitterten. Mir war schwindelig vom Blutverlust und ich war ungeheuer nervös. Fünf Jahre waren vergangen. Was würde sie denken? Was würden wir zueinander sagen?
Ich schaute Alex an, Jack, all die anderen – und plötzlich wusste ich, dass ich ihr ungeheuer viel zu erzählen hatte …
46
Auf Nates Gesicht spielte sich die reinste Tragödie ab. »Wir müssen meine Großmutter besuchen.«
»Im Hilton in Acapulco?«, fragte ich hoffnungsvoll.
»Nein. In Atlanta.«
Ich biss mir auf die Lippe, um nicht zu grinsen. Das war nun wirklich hart. Härter als hart.
»Das einzig Gute an der Sache ist, dass ich mit ihm fahre«, sagte Suki. »Lila, könntest du mir mit dem Gepäck helfen?«
Ich warf einen Blick auf die sechs Louis-Vuitton-Koffer, die neben der Tür standen.
»Ich kann mich doch nicht von dieser … Imelda Marcos übertreffen lassen, wer immer das ist«, verteidigte sich Suki. Dann grinste sie. »Ciao, Lila. Du wirst mir fehlen.«
Ich verspürte tatsächlich einen Kloß im Hals. Suki zog mich eng an sich. Auch Nate umarmte mich linkisch.
»Wir sehen uns dann in den Sommerferien, okay?«
Ich nickte. »Wäre super. Aber ich bin nicht sicher, wo ich sein werde.« Tatsächlich hatte ich keine Ahnung, was mein Vater plante – wollte er zurück nach London oder in den Staaten bleiben? Alex hatte mir versprochen, dass er in jedem Fall bei mir bleiben wolle, daher spielte es eigentlich keine große Rolle, wie sich Dad entschied. Ich persönlich hätte die Jacht vorgezogen, sie schien mir der ideale Wohnort für den Rest meines Lebens zu sein. Solange ich eine Doppelkabine mit Alex bekam und wir nur in internationalen Gewässern kreuzten.
»Kann sein, dass ich dich ziemlich oft sehe, aber du mich nicht«, kicherte Nate.
»Ich glaub nicht, dass er wegen dir herumschwirren wird, Lila, er fährt nur auf Jack und Alex ab.«
Ich boxte Nate leicht vor die Brust. »Und was haben die anderen vor?«
»Na ja«, antwortete Suki, »Harvey packt, er will wieder weitermachen.«
»Weitermachen? Womit?«
»Na, mit seiner Arbeit, du Landei.«
»Harvey hat einen Job?« Jetzt war ich völlig überrascht.
»Könnte man so nennen«, kicherte Suki und zuckte die Schultern.
Ich riss die Augen auf, dann hob ich die Hand. Mehr brauchte ich wirklich nicht zu wissen. »Und Amber?«
Suki lächelte vielsagend. »Ich glaube, sie möchte hierbleiben.«
»Ach ja? Warum?«
»Jack hat es ihr angeboten. Sie braucht Zeit, um alles zu verarbeiten. Er hilft ihr dabei.«
»Und Bill? Thomas? Geht es ihm besser?«
»Sie sind noch in Mexico City. Thomas geht es besser, aber völlig erholt hat er sich noch nicht. Vielleicht könnte dein Bruder seine ganz besondere Kraft an ihm üben.«
»Vielleicht könnte Jack seine ganz besondere Kraft auch an mir üben«, scherzte Nate.
Ich nickte nachdenklich. Jack hatte seine Gabe bei meiner Mutter angewendet und sie schien gut zu wirken. Vielleicht könnte er auch Thomas helfen. Wenn er es geschafft hatte, mich von den Toten zurückzuholen, würde er doch bestimmt auch was
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