Kein bisschen Liebe
sie.«
»Zum Spielen gefallen sie mir. Hier sind die Leute noch emotional. Draußen in der Welt gibt es keine Emotionen. Da ist alles nur Hirn. Hier bebt das Herz, die ganze Zeit.«
Ich wandte mich zum Gehen. Am Strand sind Polizisten. Überall sind Polizisten. Sie konnten jederzeit auftauchen und uns alle einlochen. Helga hielt mich am Arm fest.
»Geh nicht. Schau noch ein Weilchen zu. Oder hast du Angst?«
»Vor was? Ich hab keine Angst.«
»Dann wart noch ein wenig. Bist du nicht emotional? Mach’s wie die Schwarzen da. Lass dein Geschlecht sehen.«
»Was ist eigentlich los mit dir, Helga? Lass mich in Ruhe.«
»Ach, stimmt, du bist ja was Besseres. Das intelligente Männchen. Keine Emotionen, das intelligente Männchen.«
»Lass mich in Ruhe. Du verstehst überhaupt nichts.«
»Ich verstehe alles. Du bist intelligent. Du stehst auf schwarze Frauen. Genau wie ich. Ich stehe auf schwarze Frauen und schwarze Männer. Auf mich stehst du nicht, Männchen. Männ-chen!«
Jetzt schrie sie fast schon. Zum Glück redete sie ein Mischmasch aus Spanisch und brasilianischem Portugiesisch. Ich glaube, die Lesben verstanden kein Wort. Sie wollte meinen Arm nicht loslassen und wurde aggressiv.
»Du bist ein stinknormales Männchen, und dabei hältst du dich für intelligent. Männer sind überflüssig.«
Ich riss mich von ihr los. Die anderen Lesben standen auf und umringten mich. In Kampfpose. Sie dachten, ich wolle Helga schlagen. Ich machte ein paar Schritte zur Seite. Helga zog das Bikinihöschen aus und war jetzt nackt. Es war noch dunkler geworden. Vier Jungs kamen von den Kokospalmen herüber und zogen die Badehosen runter, um ihre steifen Schwänze zu zeigen. Sie masturbierten sanft. Helga glich einer ausgetrockneten Mumie, aber sie hatte einen großen schwarzen Busch über der Möse. Das war das einzig Attraktive an ihr. Ich drehte mich um und ging. Helga rief mir hinterher:
»Geh nicht weg, intelligentes Männchen. Komm. Lass uns mit den Schwarzen Samba tanzen. Komm!«
Ich entfernte mich immer weiter, ging am Meeresufer entlang. Auf der Flucht. Mit der Abenddämmerung im Rücken. Eine komplizierte, abstoßende Frau. Aber sie hat Recht. Ich bin ein stinknormales Männchen. Und ich brauche ein stinknormales Weibchen.
Kein bisschen Liebe
Ich muss mich aufraffen und mein Leben ändern. Mich entfernen von der Tragik, der Perversion und Lüsternheit. Ich muss Ordnung schaffen. Wenigstens ein bisschen Ordnung und Gleichgewicht. Ich versuche es ein ums andere Mal, aber immer wieder scheitere ich, weil mir langweilig wird. Die Welt um mich herum ist erregend, und ich verfalle von neuem in Exzesse. Julia hat es nicht mehr ausgehalten und ist gegangen. Sie war zu gutherzig und hat das Feuer nicht ertragen. Jetzt will ich mir etwas Zeit nehmen. Ich muss begreifen, was los ist. Ein wenig innehalten und nachdenken.
An diesem Punkt stehe ich. Mit jeder Menge freier Zeit. Ich lebe allein. An manchen Nachmittagen treffe ich mich mit Miriam. Das hilft mir, die Tage herumzubringen. Sie kommt von Guanabacoa hierher. Zwei oder drei Mal die Woche entwischt sie ihrem Mann. Ich erwarte sie um ein Uhr mittags gegenüber dem Bestattungsunternehmen, an der Ecke Zanja und Belascoaín. Wir verabreden uns telefonisch, und sie bestellt mich immer dorthin, um dieselbe Zeit. Sie kommt an und sagt: »Wart einen Moment. Ich gehe auf die Toilette.« Und damit verschwindet sie in dem Bestattungsunternehmen. Fünfzehn oder zwanzig Minuten. Dann taucht sie wieder auf, und wir gehen die Belascoaín-Straße hinunter bis zu mir. Mehrmals habe ich sie gefragt, ob es sie anmacht, die Toilette des Bestattungsunternehmens zu benutzen. Sie weicht mir aus. Heute sagt sie endlich:
»Ich erzähl dir jetzt mal die Wahrheit.«
»Du hast noch einen Liebhaber, und der arbeitet in dem Bestattungsunternehmen?«
»Nein.«
»Was dann?«
»Ich geh da rein, um die Toten zu sehen.«
»Willst du mich verarschen?!«
»Nein. Erst seh ich mir auf der Tafel am Eingang die Namen an. Dann gehe ich sie mir anschauen. Einen nach dem anderen. Manchmal sind alle vier Kapellen besetzt. Ich sehe die Gesichter der Toten sehr gern. Wenn ich das nicht mache, habe ich das Gefühl, nachts nicht schlafen zu können.«
»Du bist nicht ganz dicht.«
»Lass mich erst mal ausreden. Das hier weiß niemand, aber ich habe großes Vertrauen zu dir. Wenn ich alle Toten in ihren Kisten gesehen habe, bekomme ich Lust zu pinkeln. Dann geh ich auf die Toilette. Und ich werd richtig
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