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Kein böser Traum

Kein böser Traum

Titel: Kein böser Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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wohlgeordnetes Leben wieder auf. Mike arbeitet wieder. Sie sehen jetzt gemeinsam fern, statt sich in zwei getrennte Zimmer zurückzuziehen. Mike wird noch immer früh müde. Ihr Liebesleben gestaltet sich etwas intensiver, aber es ist alles viel zu verkrampft. Charlaine und Grace sind enge Freundinnen geworden. Charlaine beklagt sich nie, aber Grace sieht ihre Verzweiflung. Irgendwann, das weiß Grace, wird die Last zu schwer werden.
    Freddy Sykes ist noch immer in der Reha. Er hat sein Haus zum Verkauf ausgeschrieben und ist dabei, sich eine Eigentumswohnung in Fair Lawn, New Jersey, zu kaufen.
    Cora blieb Cora. Mehr ist dazu nicht zu sagen.
    Evelyn und Paul Alworth, Jacks – oder in diesem Fall sollte sie wohl sagen Shanes – Mutter und Bruder, haben sich ebenfalls gemeldet. Im Lauf der Jahre hatte Jack das Geld aus dem Treuhandfonds dazu benutzt, Paul eine Ausbildung zu finanzieren. Als er bei Pentocol Pharmaceuticals angefangen hatte, hatte er seiner Mutter die Eigentumswohnung in der Neubausiedlung gekauft, damit sie sich regelmäßig sehen konnten. Sie hatten zumindest einmal pro Woche zusammen zu Mittag gegessen. Beide, Evelyn und Paul, verspürten den aufrichtigen Wunsch, am Leben der Kinder teilzuhaben – immerhin waren sie Emmas und Max’ Großmutter beziehungsweise Onkel, verstanden jedoch, dass dies erst allmählich wachsen musste.
    Was Emma und Max betraf, so gingen sie mit ihrem tragischen Verlust ganz unterschiedlich um.

    Max spricht häufig und gerne von seinem Vater. Er will wissen, wo Daddy ist, wie es im Himmel aussieht, ob Daddy sie auch wirklich von oben sehen kann. Er braucht die Gewissheit, dass sein Vater noch immer an den Schlüsselerlebnissen seines jungen Lebens teilhaben kann. Grace versucht seine Fragen zu beantworten, so gut sie kann – versucht sie ihm plausibel zu machen  –, doch ihre Worte haben den hohlen Klang des Zweifels. Max verlangt von Grace, dass sie mit ihm Limericks in der Badewanne dichtet, wie Jack es getan hatte, und wenn Max darüber lacht, klingt das so sehr nach seinem Vater, dass Grace glaubt, es müsse ihr hier und jetzt das Herz zerreißen.
    Emma, Vaters kleine Prinzessin, spricht nie von Jack. Sie stellt keine Fragen. Sie betrachtet keine Fotos und schwelgt nicht in Erinnerungen. Grace versucht die Not ihrer Tochter zu lindern, ist sich jedoch der Richtigkeit ihres Handelns niemals sicher. Psychiater propagieren stets, wie wichtig es ist, sich zu öffnen. Grace, die ihr eigenes Päckchen an tragischen Verlusten zu tragen hat, zweifelt. Auch ein gesunder Verdrängungsmechanismus, das hat sie gelernt, hat seine Vorteile.
    Seltsamerweise macht Emma einen glücklichen Eindruck. Sie ist gut in der Schule. Sie hat viele Freunde. Doch Grace weiß es besser. Emma schreibt keine Gedichte mehr. Sie würdigt ihr Gedichtheft keines Blickes mehr. Sie besteht darauf, bei geschlossener Zimmertür zu schlafen. Grace steht oft noch spät nachts vor dem Zimmer ihrer Tochter und glaubt manchmal leises Schluchzen zu hören. Am Morgen, wenn Emma zur Schule gegangen ist, geht Grace in ihr Zimmer.
    Ihr Kopfkissen ist immer nass.
    Außenstehende nehmen automatisch an, dass Grace viele Fragen an Jack hätte, würde er noch leben. Das ist richtig. Dennoch beschäftigt es sie längst nicht mehr, was ein verängstigter, mit Drogen voll gepumpter Zwanzigjähriger angesichts von Zerstörung, Tod und den Auswirkungen all dessen getan hatte.
Rückblickend war sie allerdings der Meinung, dass er es ihr hätte sagen müssen. Aber was, wenn er es getan hätte? Angenommen Jack hätte ihr von Anfang an die Wahrheit gesagt? Oder zumindest einen Monat nachdem sie eine Beziehung angefangen hatten? Oder ein Jahr später? Wie hätte sie reagiert? Wäre sie bei ihm geblieben? Sie denkt dann an Emma und Max, an die einfache Tatsache ihrer Existenz, und der nicht eingeschlagene Weg lässt sie erschaudern.
    Spät nachts also, wenn Grace allein in ihrem viel zu großen Bett liegt und mit Jack spricht, und sich komisch vorkommt, weil sie nicht wirklich glaubt, dass er ihr zuhört, sind ihre Fragen mehr praktischer Art: Max möchte der Turniermannschaft des Fußballclubs von Kasselton beitreten, aber ist er dafür nicht noch zu jung? Die Schule möchte, dass Emma an einem Englischprogramm für Begabte teilnimmt, aber setzt sie das nicht zu sehr unter Druck? Sollen wir auch ohne dich im Februar nach Disney World fahren oder weckt das nur schmerzliche Erinnerungen? Und was, Jack, soll ich gegen dieses

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