Kein böser Traum
Du hast Jack damit vertröstet, alles erklären zu wollen, aber nicht am Telefon. Du hast ein Treffen am New York Thruway vorgeschlagen. Dann hast du Larue angerufen und ihm gesagt, dass die perfekte Gelegenheit, sich zu rächen, gekommen sei. Du hast gedacht, Larue würde Wu veranlassen, Jack umzubringen. Damit, dass er ihn nur entführen würde, hattest du nicht gerechnet.«
»Ich muss mir das nicht anhören!«
Doch Grace war nicht aufzuhalten. »Mein Fehler war, dir bei unserer ersten Begegnung das Foto zu zeigen. Jack hatte keine Ahnung, dass ich eine Kopie vom Original gemacht hatte. Da war es also. Ein Foto von deinem toten Bruder und dem Mann, der in seine Fußstapfen getreten war. Alle Welt konnte es sehen. Folglich musstest du mich ebenfalls zum Schweigen bringen. Du hast diesen Kerl geschickt, den mit der Frühstücksbox meiner Tochter. Er sollte mir Angst einjagen. Aber ich wollte nicht klein beigeben. Also hast du Wu auf mich angesetzt. Er sollte rausfinden, was ich wusste, und mich dann umbringen.«
»Okay. Mir reicht’s jetzt.« Sandra Koval stand auf. »Raus aus meinem Büro!«
»Du hast dem nichts hinzuzufügen?«
»Ich warte noch immer auf Beweise.«
»Habe ich eigentlich nicht so richtig«, gestand Grace ein. »Aber vielleicht legst du ja ein Geständnis ab.«
Das fand sie lustig. Sie lachte herzlich. »Glaubst du wirklich, ich weiß nicht, dass du verdrahtet bist? Ich habe nichts gesagt oder getan, was mich belasten könnte.«
»Schau aus dem Fenster, Sandra.«
»Wie bitte?«
»Das Fenster. Schau auf den Bürgersteig runter. Komm schon! Ich zeig’s dir.«
Grace hinkte zum großen Panoramafenster und deutete nach unten. Sandra Koval folgte zögernd, als erwarte sie, von Grace hinuntergestoßen zu werden. Doch da lag sie falsch. Vollkommen falsch.
Als Sandra Koval den Blick nach unten richtete, schnappte sie unwillkürlich kurz nach Luft. Auf dem Bürgersteig gingen Carl Vespa und Cram wie zwei Löwen auf der Pirsch auf und ab. Grace drehte sich um und ging zur Tür.
»Wohin willst du?«, fragte Sandra.
»Moment noch«, sagte Grace. Sie schrieb etwas auf ein Stück Papier. »Das ist Captain Perlmutters Telefonnummer. Du hast die Wahl. Du kannst anrufen und das Gebäude mit Perlmutter an deiner Seite verlassen. Oder du versuchst dein Glück auf dem Bürgersteig.«
Sie legte den Zettel auf den Konferenztisch. Und dann, ohne einen Blick zurück, verließ Grace den Raum.
Nachspiel
Sandra Koval entschied sich für den Anruf bei Captain Stuart Perlmutter. Dann nahm sie sich einen Anwalt. Hester Crimstein, die Legende persönlich, übernahm das Mandat. Es war schwierig, eine wasserdichte Anklage zusammenzuzimmern, doch der Bezirksstaatsanwalt war aufgrund gewisser Entwicklungen zuversichtlich.
Eine dieser Entwicklungen war die Rückkehr des rothaarigen Mitglieds der Band Allaw, Sheila Lambert. Nachdem Sheila von der Verhaftung erfahren hatte – sie war in den Medien aufgerufen worden, sich zu melden –, stellte sie sich. Die Beschreibung des Mannes, der ihren Mann erschossen hatte, passte auf den Kerl, der Grace im Supermarkt bedroht hatte. Sein Name war Martin Brayboy. Er wurde verhaftet. Er war bereit, als Zeuge der Anklage aufzutreten.
Sheila Lambert sagte gegenüber der Staatsanwaltschaft aus, Shane Alworth sei in der fraglichen Nacht ebenfalls bei dem Konzert gewesen, habe sich jedoch im letzten Augenblick entschlossen, nicht mit hinter die Bühne zu gehen, um Jimmy X zur Rede zu stellen. Sie konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, was seinen Sinneswandel bewirkt hatte, aber sie vermutete, dass Shane erkannt hatte, dass John Lawson so betrunken war, so unter Strom stand, dass er jeden Moment auszuflippen drohte.
Grace hätte das eigentlich ein Trost sein müssen. Doch so ganz sicher war sie sich nicht.
Captain Perlmutter hatte sich mit Scott Duncans ehemaliger Chefin Linda Morgan, der Generalstaatsanwältin, zusammengetan. Gemeinsam gelang es ihnen, einen der Männer aus dem innersten Zirkel um Carl Vespa umzudrehen. Gerüchteweise hieß
es, seine Verhaftung stünde unmittelbar bevor, auch wenn es schwierig werden würde, ihm den Mord an Jimmy X nachzuweisen. Eines Nachmittags rief Cram Grace an. Er sagte ihr, Vespa zeige keinerlei Lebensgeist mehr. Er verbringe viel Zeit im Bett. »Ist, wie ihm beim Sterben zuzuschauen«, berichtete er. Grace wollte das nicht wirklich hören.
Charlaine Swain brachte Mike aus dem Krankenhaus nach Hause. Sie nahmen ihr gleichförmiges,
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