Kein Engel so rein
mochte es, ihre Zähne zu betrachten, wenn sie lächelte. Sie waren nur ein ganz kleines bisschen unregelmäßig, aber auf eine Art, die sie perfekt machte.
»Jetzt im Ernst, was haben Sie gemacht?«
Sie drehte sich auf dem Hocker, sodass sie Schulter an Schulter dasaßen und sich in dem Spiegel hinter den bunten Flaschen an der Rückwand der Bar ansahen.
»Ach, ich war eine Weile Anwältin – keine Strafverteidigerin, also bleiben Sie auf dem Teppich. Zivilrecht. Dann habe ich gemerkt, das ist nichts für mich. Ich habe aufgehört und bin auf Reisen gegangen. Zwischendurch habe ich gejobbt. In Venedig habe ich Keramik gemacht. In den Schweizer Alpen habe ich eine Weile als Reitführerin gearbeitet, in Hawaii auf einem Touristenausflugsboot als Köchin. Ich habe alles Mögliche gemacht und viel von der Welt gesehen – bis auf die Anden. Dann bin ich nach Hause zurückgekehrt.«
»Nach L. A.?«
»Wo ich geboren und aufgewachsen bin. Und Sie?«
»Genauso. Queen of Angels.«
»Cedars.«
Sie hob ihr Glas, und sie stießen an.
»Auf die Wenigen, die Stolzen und die Tapferen«, sagte sie.
Bosch trank sein Glas leer und schenkte sich den Inhalt seiner Karaffe nach. Er war Brasher um einiges voraus, was ihm aber nichts ausmachte. Er fühlte sich ganz entspannt. Es tat gut, eine Weile abzuschalten. Es tat gut, mit jemandem zusammen zu sein, der nicht direkt mit dem Fall zu tun hatte.
»Im Cedars sind Sie also geboren?«, sagte er. »Wo sind Sie aufgewachsen?«
»Lachen Sie nicht. In Bel Air.«
»In B el Air? Dann schätze ich mal, gibt es da einen Daddy, der gar nicht begeistert ist, dass seine Tochter zur Polizei geht.«
»Wo es vor allem auch seine Kanzlei war, aus der sie eines Tages verschwunden ist, um zwei Jahre nichts mehr von sich hören zu lassen.«
Bosch grinste und hob sein Glas. Sie stieß mit ihrem dagegen.
»Ein tapferes Mädchen.«
Nachdem sie ihre Gläser abgestellt hatten, sagte sie: »Lassen wir doch die ganze Fragerei.«
»Meinetwegen«, sagte Bosch. »Und was machen wir stattdessen?«
»Nimm mich einfach mit nach Hause, Harry. Zu dir.«
Er stutzte einen Moment und sah in ihre schimmernden blauen Augen. Es ging alles blitzschnell, vom Alkohol gut geschmiert. Aber so war es oft zwischen Cops, zwischen Leuten, die sich als Teil einer verschworenen Gemeinschaft fühlten, die sich auf ihre Instinkte verließen und jeden Tag in dem Wissen zur Arbeit fuhren, dass sie die Art, wie sie ihren Lebensunterhalt verdienten, das Leben kosten konnte.
»Ja«, sagte er schließlich, »das habe ich auch gerade gedacht.«
Er beugte sich vor und küsste sie auf den Mund.
11
Julia Brasher stand im Wohnzimmer von Boschs Haus und sah sich die CDs in den Ständern neben der Stereoanlage an.
»Ich stehe auf Jazz.«
Bosch war in der Küche. Er lächelte, als er sie das sagen hörte. Er schenkte zwei Martinis aus dem Shaker ein, ging ins Wohnzimmer und reichte ihr ein Glas.
»Irgendjemand, auf den du besonders stehst?«
»Mhm, in letzter Zeit Bill Evans.«
Bosch nickte, ging zum Ständer und suchte Kind of Blue heraus. Er legte die CD ein.
»Bill und Miles«, sagte er. »Nicht zu reden von Coltrane und ein paar anderen Leuten. Einsame Spitze.«
Als die Musik begann, nahm er seinen Martini, und sie kam zu ihm und stieß mit ihrem Glas gegen seines. Statt zu trinken, küssten sie sich. Mitten in ihrem Kuss begann sie zu lachen.
»Was ist?«, fragte er.
»Ach, nichts. Ich komme mir nur ganz schön frech vor. Und glücklich.«
»Ja, ich auch.«
»Ich glaube, es lag daran, dass du mir die Taschenlampe gegeben hast.«
Bosch sah sie verdutzt an.
»Wie meinst du das?«
»Du weißt schon, sie hat so was Phallisches.«
Das Gesicht, das Bosch machte, brachte sie noch mehr zum Lachen, und sie verschüttete etwas von ihrem Martini auf den Fußboden.
Später, als sie mit dem Gesicht nach unten auf seinem Bett lag, fuhr Bosch mit dem Finger die Umrisse der strahlenden Sonne nach, die sie über dem Po auf den Rücken tätowiert hatte, und dachte darüber nach, wie vertraut und zugleich fremd sie ihm war. Er wusste fast nichts über sie. Wie im Fall des Tattoos schien es mit jedem neuen Blickwinkel, den er auf sie bekam, eine Überraschung zu geben.
»Woran denkst du gerade?«, fragte sie.
»Ach, nichts. Ich denke nur an den Kerl, der dir das auf den Rücken gemacht hat. Wahrscheinlich wünsche ich mir, das wäre ich gewesen.«
»Wieso?«
»Weil ein Teil von ihm immer bei dir sein wird.«
Sie drehte sich
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