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Kein Engel so rein

Kein Engel so rein

Titel: Kein Engel so rein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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einen unterirdischen Gang bewegte. Aber er kroch nicht. Es war, als wäre er unter Wasser und schwämme wie ein Aal durch das Labyrinth. Er kam ans Ende eines Gangs, wo ein Junge an der Wand kauerte. Er hatte die Arme auf seinen angezogenen Knien verschränkt und sein Gesicht darin vergraben.
    »Komm mit«, sagte Bosch.
    Der Junge linste über einen Arm hinweg zu Bosch hoch. Aus seinem Mund kam eine einzelne Luftblase. Dann sah er an Bosch vorbei, als tauchte hinter ihm etwas auf. Bosch drehte sich um, aber hinter ihm war nur das Dunkel des unterirdischen Gangs.
    Als er wieder zu dem Jungen zurückschaute, war er weg.

12
    Am späten Sonntagvormittag fuhr Bosch Julia Brasher zur Hollywood Station, damit sie mit ihrem Auto zu sich nach Hause fahren und er weiter an dem Fall arbeiten konnte. Sie hatte sonntags und montags keinen Dienst und lud ihn in ihr Haus in Venice zum Abendessen ein. Auf dem Parkplatz waren andere Polizisten, als Bosch sie bei ihrem Auto absetzte. Bosch wusste, es würde sich rasch herumsprechen, dass es so aussah, als hätten sie die Nacht miteinander verbracht.
    »Entschuldige«, sagte er. »Ich hätte mir gestern Abend was Besseres einfallen lassen sollen.«
    »Eigentlich ist mir das ziemlich egal, Harry. Bis heute Abend.«
    »Es sollte dir aber nicht egal sein. Cops können ganz schön brutal sein.«.
    Sie machte ein Gesicht.
    »Ach so, die Polizeibrutalität, ja, davon habe ich gehört.«
    »Nein, im Ernst. Außerdem ist es gegen die Vorschriften. Zumindest, was mich betrifft. Ich bin ein D-drei. Nominell dein Vorgesetzter.«
    Sie sah ihn kurz an.
    »Dann ist das dein Problem. Bis heute Abend. Hoffe ich jedenfalls.«
    Sie stieg aus und machte die Tür zu. Bosch fuhr zu seinem reservierten Parkplatz. Als er in die Polizeistation ging, versuchte er, nicht an die Komplikationen zu denken, die er möglicherweise gerade in sein Leben geholt hatte.
    Der Bereitschaftsraum war leer – genau das, was er gehofft hatte. Er wollte sich eine Weile allein mit dem Fall beschäftigen. Es gab noch eine Menge Bürokram zu erledigen, aber er wollte auch etwas Abstand zu der Sache gewinnen und über alle Indizien und Informationen nachdenken, die er seit der Entdeckung der Knochen gesammelt hatte.
    Als Erstes galt es, eine Liste der Dinge zu machen, die erledigt werden mussten. Die Mordakte – der blaue Ordner mit allen schriftlichen Berichten zu dem Fall – musste vervollständigt werden. Er musste Durchsuchungsbefehle aufsetzen, um in den lokalen Krankenhäusern die Unterlagen über Gehirnoperationen einsehen zu können. Er musste routinemäßige Computernachforschungen über alle Anwohner anstellen, die in der Wonderland Avenue in der Nähe des Tatorts wohnten. Außerdem musste er die schriftlichen Aufzeichnungen der telefonischen Hinweise lesen, die nach den Medienberichten über den Knochenfund eingegangen waren, und er musste Ausreißer- und Vermisstenmeldungen sammeln, die auf das Opfer zutreffen könnten.
    Er wusste, dass das alles nicht an einem Tag zu schaffen war, wenn er es allein machte, aber er hielt trotzdem an seinem Entschluss fest, Edgar seinen freien Tag zu gönnen. Gollihers Befund war seinem Partner, Vater eines dreizehnjährigen Jungen, ziemlich nahe gegangen, und Bosch wollte, dass er eine Pause machte. Die kommenden Tage würden wahrscheinlich arbeitsintensiv und emotional ähnlich belastend werden.
    Sobald Bosch die Liste fertig hatte, holte er seine Tasse aus der Schublade und ging Kaffee holen. Das Kleinste, was er in der Tasche hatte, war ein Fünf-Dollar-Schein, aber er warf ihn in die Kaffeekasse, ohne sich Wechselgeld herauszunehmen. Er rechnete damit, dass er im Lauf des Tages mehr als seinen Anteil trinken würde.
    »Wissen Sie, was die anderen dazu sagen?«, sagte jemand hinter ihm, als er seine Tasse füllte.
    Bosch drehte sich um. Es war Mankiewicz, der diensthabende Sergeant.
    »Wozu?«
    »Wenn jemand am Arbeitsplatz seine Angel auswirft.«
    »Keine Ahnung. Was sagen sie dazu?«
    »Das weiß ich auch nicht. Darum frage ich Sie ja.«
    Mankiewicz grinste und ging auf die Kaffeemaschine zu, um seine Tasse nachzufüllen.
    Hat es sich also schon rumgesprochen, dachte Bosch. Klatsch und versteckte Andeutungen – speziell alles, was einen sexuellen Beigeschmack hatte – breiteten sich in einer Polizeiwache aus wie ein Buschbrand, der im August einen Hügel hochraste.
    »Na, dann sagen Sie’s mir doch, wenn Sie’s rausgefunden haben«, sagte Bosch, als er auf die Tür des

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