Kein Entrinnen
Sheridan interessiert haben. Es war sehr gut möglich, dass Ben O. Boz die Arbeit seines Vaters gekannt hatte und sich davon bei der Ausarbeitung seiner Methoden inspirieren ließ. Und es hätte ihm absolut ähnlich gesehen, den Sohn seines theoretischen Lehrmeisters ins Visier zu nehmen!«
Der Professor konnte dem nur zustimmen.
»Warum aber sollte er uns heute, nach seinem Tod, auf diese Spur bringen?«, fragte er. »Lebt Sheridans Vater denn noch?«
»Nein. Er starb 1988.«
»Also?«
Das Auto des Informatikers traf vor Franklins Haus ein. Melanchthon öffnete ihm die Tür. Alle stiegen ins Arbeitszimmer des Professors hinauf, wo sich der Computer befand. Der Informatiker gehörte zu einem FBI-Team. Er tat Melanchthon einen Gefallen.
»Kann er von hier aus den Ursprung der E-Mails herausfinden?«, fragte Franklin.
»Ja.«
Der Typ begann Ziffernsequenzen in das Feld für Webadressen einzutippen.
»Da fällt mir etwas ein!«, stieß Franklin an Patricia gewandt aus. »Haben Sie alle Ihre Telefonnummern und E-Mail-Konten geändert, als Sie von Washington nach Nebraska gingen?«
»Ja. Warum?«
»Ich bin womöglich nicht der einzige Empfänger von Boz’ Botschaften! Es ist nicht unvorstellbar, dass er auch versucht hat, Sie zu kontaktieren?«
Melanchthon runzelte die Stirn und sagte: »Aber er konnte nicht wie bei Ihnen wissen, wie er mich erreichen sollte …«
»Er hat es doch auch geschafft, dass seine Videobänder auf Ihrem Schreibtisch in Quantico landeten!«, unterbrach Frank sie. »Er kannte Sie. Er musste zumindest Ihre Adresse besitzen. Erkundigen Sie sich.«
Patricia blickte einen Moment finster drein, dann lächelte sie und sagte: »Großartige Idee.«
Sie rief ihre »Freundin« an und bat sie, zu ihrer alten Wohnung zu gehen und mit der Hausmeisterin nachzusehen, ob dort nicht noch für sie eingegangene Post wäre.
Anschließend stiegen beide ins Wohnzimmer hinunter, um den Informatiker in Ruhe arbeiten zu lassen. Er wusste nicht, wie lange er für seine Nachforschungen brauchen würde.
»Machen wir mit Sheridan weiter«, erklärte Franklin. »Ich will alles verstehen.«
»Die Sache ist ziemlich einfach: Doktor Gordon hat die ganzen letzten Lebensjahre an dieser Idee vom nicht fassbaren Mörder gearbeitet. Als sein erstes Buch über dieses Thema erschien, fielen seine Kollegen mit Hohn und Spott über ihn her, dieselben, die seine früheren Arbeiten in den Himmel gelobt hatten. Alle sagten, der ehrenwerte Professor habe den Rahmen der Wissenschaft verlassen, um sich vom Zauber eines Mythos verführen zu lassen. Doch Gordon Sheridan blieb unbeirrbar. Er arbeitete über nichts anderes mehr als über den ›perfekten Killer‹. Er studierte alle Faktoren, präzisierte die winzigsten Details, die erforderlichen Fähigkeiten, die Tricks und die unverzichtbaren Talente, die sein theoretischer Mörder besitzen musste.«
»Zusammengefasst arbeitete er eine regelrechte Gebrauchsanweisung aus!«
»Ja. Die nur dem Richtigen in die Hände fallen musste! Zu dem Zeitpunkt, als wir Stuart Sheridan unter die Lupe nahmen, hatten wir nichts in der Hand, um eine Beziehung zwischen den Arbeiten seines Vaters und den Morden von Boz herzustellen. Wir konnten nicht beweisen, dass sie sich kannten oder gar dass Boz Gordons Werke gelesen hatte. Allmählich verlief die Spur Stuart von allein im Sand. Vor allem als er Sie in die Geschichte mit hineinzog. Aber das war, bevor Boz uns diese Buchsignatur und dieses Foto der Polizeischule von Pennsylvania zuspielte. Von nun an ist die Verbindung zu Gordon Sheridan gesichert. Und das ändert alles.«
Franklin dachte an das Foto von Boz und den jungen Polizisten zurück. Mit Sicherheit hatte er von Gordon Sheridans Theorien gehört. Er hatte bestimmt den Vortrag des Doktors an der Polizeischule gehört. Mit Sicherheit konnte er, nachdem er bereits mit den Entführungen und der Beseitigung seiner Versuchskaninchen begonnen hatte, keinen besseren Lehrmeister und keinen besseren Führer finden, der ihn auf seinem Weg eines Wahnsinnigen anleiten konnte.
»Welche Theorie verfolgen Sie derzeit?«, fragte er Melanchthon.
»Der Komplize. Der Maulwurf. Der, nach dem wir seit jeher suchen.«
»Ja und?«
»Meiner Meinung nach? Heute? Es ist Stuart Sheridan.«
»WAS?«
Franklin riss die Augen auf.
»Überlegen Sie doch: Sein Vater Gordon starb mit zweiundsiebzig Jahren im Januar 1988. Tief getroffen von der kategorischen Ablehnung seiner Ideen. Diese Schmähungen könnten
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