Kein Entrinnen
Verärgert, weil er so blauäugig auf die Inszenierung hereingefallen war. Verärgert, weil er auch nur einen Moment lang geglaubt hatte, diese Geschichte vom Mord an dem Professor könnte ihm einen hervorragenden Stoff für seinen ersten Roman liefern!
»Vergessen Sie das«, beharrte Emerson. »Ich verspreche Ihnen, der Rest des Jahres wird friedlich verlaufen. Sie werden keine weiteren Überraschungen erleben.«
Ein ruhiges Jahr. Ein ruhiges Jahr war definitiv alles, was der junge Frank Franklin brauchte, um seinen Platz in Durrisdeer zu finden.
Er verließ das Büro und ließ seine »Beweise« für den Mord an Mycroft Doyle dort zurück.
Kurz darauf bestätigte Kellermann die Behauptungen des Dekans, nicht ohne offen zu bedauern, dass die Farce nicht weitergetrieben wurde.
»Du gehörst also zum Klub?«, fragte ihn Franklin.
»Ich nicht. Ich gehöre zu den Ausführenden. Ich erhalte die Anweisungen scheibchenweise. Aber ich bin nicht eines der ›Gehirne‹. Im Übrigen weiß ich nicht einmal, wer sie sind …«
Emerson sagte also die Wahrheit.
Am nächsten Morgen hatte jemand, der Bescheid wusste, im ersten Kurs mit Kreide an die Tafel geschrieben: »Literatur: Realität oder Fiktion? Was soll man glauben , Herr Professor?«
Frank lachte mit seinen Schülern darüber und wischte den Satz mit dem Schwamm weg, ohne darauf einzugehen.
»Machen wir uns an die Arbeit …«
In seinem Innersten aber schwor er sich, die kleinen Schlauberger des Klubs noch in die Finger zu bekommen.
»Wissen Sie, sie sind vollkommen harmlos!«, hatte Louis Emerson ihm noch eingetrichtert.
Drei der dreißig FBI-Agenten, die nach der Entdeckung der vierundzwanzig Leichen in New Hampshire aufgekreuzt waren, durchkämmten den Wald auf dem Gelände der Universität von Durrisdeer. Sie waren vollkommen ausgelaugt. In vier Tagen hatten sie zwischen den Bäumen kein einziges Indiz in Zusammenhang mit den vierundzwanzig Toten gefunden.
»Wenn Melanchthon könnte, würde sie uns sogar den Meeresgrund durchwühlen lassen!«, sagte Agent Nummer eins.
»Wenn ich in die Zentrale zurückkomme, dann verlange ich einen Überstundenausgleich«, knurrte Agent Nummer zwei, »und ich nehme das erste Flugzeug und lasse mir in Florida die Sonne auf den Pelz brennen.«
»Es wird wieder schneien! Ihr werdet sehen, dass es noch mehr schneien wird!«, jammerte Nummer drei mit Blick auf den Himmel.
Der Wald von Durrisdeer verfügte über ein stattliches Netz von kleinen Wegen, Forststraßen oder Jägerpfaden. Nur wenige davon waren mit einem Fahrzeug passierbar.
»Seht ihr das? Die Äste dort?«
Es war eine frisch geschlagene Schneise. Die trockenen Zweige waren zerbrochen oder verbogen. Etwas weiter entfernt war das Gebüsch deutlich niedergedrückt.
»Das kann ein Tier sein.«
Nummer eins holte den Katasterplan hervor. Sie befanden sich neun Kilometer östlich der Baustelle, auf der der Berg mit den vierundzwanzig Leichen gefunden worden war. Und genau auf halbem Weg zu den ersten Gebäuden der Universität.
Nummer drei machte Fotos.
»Sehen wir nach.«
Sie schlugen den Pfad ein. Nach Ablauf der folgenden Viertelstunde legten sie etwas frei, das stark nach einem fünfundzwanzigsten Opfer aussah.
Erstarrt, gefroren, beinahe versteinert. Ein Blick genügte, um seine ganze Geschichte zu verstehen: Ein junger Typ, der lange Zeit gerannt war, seine Hose war bis zu den Knien zerrissen, seine Schnürsenkel hatten sich gelöst. Er war geschlagen worden, sein Gesicht war schwarz vor Schlägen, und um seinen Hals hing eine Schlinge. Man hatte außerdem Blätter und Kiefernnadeln auf ihn gehäuft, um ihn zu verstecken.
»Zehn Kilometer. Wenn er von der Baustelle kommt, ist er zehn Kilometer gelaufen.«
»Hat er etwas geschrieben? Die Typen, die im Sterben liegen, schreiben immer einen Haufen Zeug für die Polizei auf. Sie hinterlassen Hinweise!«
Doch in seiner Nähe war nichts zu erkennen. Nichts Sichtbares jedenfalls. Man musste zuerst den Schnee und alles, was ihn bedeckte, entfernen.
Per Funk wurde die Personenbeschreibung an die örtliche FBI-Einsatzzentrale weitergeleitet. Eine halbe Stunde später trafen die Experten des Büros am Tatort ein.
9
Drei Wochen später versammelte Colonel Stu Sheridan seine Männer vom Hayes Building im Ehrenhof.
Es war der Tag der Belobigungen und Auszeichnungen. Sheridan sprach offiziell Beförderungen und Pensionierungen aus und empfing die frisch Eingestellten.
Eine eisige Kälte hielt die
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